[Rezension] Neue Medien – neuer Unterricht?

Stefan Hofer-Krucker Valderrama und Rémy Kauffmann haben mit ihrem Buch (HEP-Verlag, 2019) eine Antwort auf die im Titel gestellte Frage vorgelegt. Es handelt sich um eine pragmatische Antwort. Wie sie in der Einleitung schreiben, gibt es »sehr unterschiedliche[] Sichtweisen auf Digitalisierung an der Schule«. Diese präsentieren sie zwischen den Kapiteln in fiktiven Dialogen zwischen Lehrerinnen und Lehrern. Diese Bedingung, dass Kollegien sehr heterogen sind, berücksichtigen sie in ihrer Argumentation insofern, als dass sie Unterrichtsqualität vom Einsatz digitaler Medien lösen:

Digitaler Unterricht ist damit nicht per se besser als analoger oder herkömmlicher Unterricht; entscheidend für den Erfolg ist ein didaktisch sinnvoller Einsatz, der die verschiedenen Einflussfaktoren im Lernprozess möglichst gut berücksichtigt.

Diese Position – die etwa auch Hilbert Meyer vertritt – eignet sich, um unterschiedliche Lehrkräfte anzusprechen: Geht man davon, dass sie bereits eine »reflektierte Planung und Umsetzung eines Lehr- und Lernsettings« betreiben, dann lernen sie durch die Lektüre des Buches, wie sie digitale Medien in diese Settings einbeziehen können.

Hofer-Krucker Valderrama und Kauffmann wollen mit ihren Unterrichtsvorschlägen die 4K-Kompetenzen stärker in den Fokus des Unterrichts rücken. Aber auch dabei steht ein behutsames Vorgehen im Vordergrund:

Wer heute analog unterrichtet oder digitale Medien lediglich dezent einsetzt, der kann mit einer Lerngruppe weiterhin viel erreichen. Wer aber darüber hinaus digitale Medien in umfassenderem Sinne für die Gestaltung und Durchführung von Lehr- und Lernprozessen nutzt, dem eröffnet sich einerseits eine Vielfalt an Möglichkeiten, den Unterricht motivierender, zeitgemäßer, attraktiver und abwechslungsreicher zu gestalten.

Nach dieser knappen Einleitung folgen Unterrichtsszenarien – der Hauptteil des Buches. Die übersichtlichen Vorschläge werden an einfach beschriebenen Kompetenzen wie »Webressourcen nutzen«, »mit Texten arbeiten« oder »Wissen aufbauen und strukturieren« festgemacht. Diese Kompetenzen werden mit raffinierten didaktischen Einfällen verbunden, die mehrheitlich aus der Unterrichtspraxis von Hofer-Krucker Valderrama und Kauffmann stammen: Sie unterrichten Deutsch und Spanisch respektive Geschichte an Schweizer Gymnasien. Die Beispiele gestalten nicht Unterricht mit Schülerinnen und Schülern, die lediglich noch vor Laptops sitzen. Vielmehr bauen sie digitale Medien wie selbstverständlich in einen zeitgemäßen Unterricht ein.

Ein Beispiel sei hier zitiert:

Wem die Stimme versagt…
Während der Präsentation versagt der Lehrkraft nach einem heftigen Hustenanfall plötzlich die Stimme. Sie unterbricht daraufhin ihre Ausführungen, erläutert mit Hilfe von Gestik, dass die Stimme weg sei, und erteilt den Schüler*innen schriftlich (z. B. via Wandtafel oder Visualizer) den Auftrag, die restlichen Folien der Präsentation selbst zu kommentieren. Anschließend wird die Präsentation fortgesetzt und die nächste Folie gezeigt. Ein Schüler oder eine Schülerin erhält den Auftrag, mit den Ausführungen weiterzufahren und die eingeblendete Folie live zu kommentieren. Die Lehrkraft zeigt per Daumenzeichen, ob der Kommentar überzeugt. Ist dies nicht der Fall, ergänzen andere Schüler*innen, bis der Daumen der Lehrkraft nach oben zeigt. Auf diese Art und Weise schreitet die PowerPoint-Präsentation fort, bis die Lehrkraft ihre Stimme – dank Halsbonbon oder einem ähnlichen Wunderheilmittel – urplötzlich wieder benützen kann.

Zwei Aspekte der Vorschläge zur Arbeit mit digitalen Tools sind besonders erwähnenswert:

  • genutzt werden fast ausschließlich kostenlose, unkomplizierte Tools, die sich ohne große Hürden in BYOD-Settings einsetzen lassen
  • die Vorschläge sind nie technische Spielereien, sondern didaktisch so durchdacht, dass sie leicht modifiziert und an konkrete Unterrichtssituationen angepasst werden können, aber mit wirksamen Lernprozessen verbunden sind (ein Intermezzo aus der Lehr-/Lernforschung verdichtet hier auch theoretische Einsichten im Anschluss an Abschnitt 2.6).

Ein drittes Kapitel legt den Fokus auf einen produktorientierten Projektunterricht. Er wird anschaulich an einer konkreten Unterrichtsreihe vorgestellt und dann in einem längeren Abschnitt kritisch reflektiert – besonders in Hinsicht auf Vorwürfe, dass für Projektunterricht kaum Zeit bleibe und die Ergebnisse oft der Komplexität des Lerngegenstandes nicht angemessen wären.

Bleibt zum Schluss die Antwort auf die Frage, ob Neue Medien zu einem neuen Unterricht führen? Das Autorenduo kann sich »lediglich« zu »einem vorsichtigen Ja« durchringen.

[…] der Kerngedanke der Schule von morgen: Schüler*innen sind darin nicht länger passiven Rezipient*innen, sondern Akteur*innen. Sie haben mehr Wahlfreiheiten und mehr Mitbestimmungsrecht, verfolgen (auch) persönliche Lernziele. Derart sind sie wesentlich (mit-)verantwortlich für den Wissens- und Kompetenzaufbau.

Diese Vision bindet das Buch aber klar an die vorhandenen Strukturen an. Es ist insofern ein realistisches Buch: Es geht von dem aus, was heute umsetzbar und möglich ist. Das ist seine große Stärke. Lehrkräfte (besonders an Gymnasien) können es in die Hand nehmen und sich inspirieren lassen, wie wirksamer digitaler Unterricht konkret möglich ist.

HEP Verlag, 2019, 264 Seiten. Leseprobe als pdf.
Rezension bezieht sich auf das E-Book, das ich gekauft habe.

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