»Matura für alle!« – Gedanken über die Ausdehnung der Schulpflicht

In der bildungspolitischen Debatte rund um die Bedeutung der Gymnasien in der Schweiz ist Andreas Pfister seit Jahren eine treibende Kraft: Er verfolgt den Diskurs sehr genau und protokolliert ihn für die Zeitschrift Gymnasium Helveticum, wichtige Anstöße hat er immer wieder auf dem Politblog des Tages-Anzeigers publiziert. In einem Interview hat er kürzlich die Idee einer »Matura für alle« präsentiert. Daraus ist jetzt ein Buch geworden.

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Matura für alle. Aris Verlag, 2018. (25 Franken)

In kurzen, präzisen Abschnitten plädiert Pfister für eine Ausdehnung der Schulpflicht. Alle Schülerinnen und Schüler sollen in der Schweiz die mittlere Reife erreichen. Pfister schlägt konkret eine Drittelslösung vor: Ein Drittel absolviert eine gymnasiale Maturitätsausbildung, ein Drittel eine Berufsmatur und ein Drittel eine Fachmaturität.

Wir wollen beides: sowohl Leistung als auch Chancengerechtigkeit.

Das ist einer der Schlüsselsätze in Pfisters Buch: Er argumentiert sehr sachlich und mit empirischen Zahlen dafür, dass das Niveau einer Ausbildung nicht sinkt, wenn sie von mehr Schülerinnen und Schülern absolviert wird. Genau so wenig stimmt ein anderer Mythos: Gymnasien bedrohen die Berufsbildung nicht, vielmehr korrelieren hohe gymnasiale Maturitätsquoten mit hohen Quoten bei der Berufsmaturität.

Die Bildungspolitik könne, so die Schlussfolgerung, die Weichen für echte Chancengerechtigkeit stellen. Diese besteht nicht darin, zu behaupten, alle könnten studieren, wenn sie nur wollten (oder die nötigen Voraussetzung mitbrächten) – vielmehr geht es darum, Kinder aus bildungsfernen Haushalten dabei zu helfen, Ausschlussverfahren und Selbstausschlüsse zu überwinden. Gerade weil diese oft sehr codiert sind, wie Pfister in seinem Buch nachweist: Die Bildungselite sorgt dafür, dass ihre Kinder die begrenzten Plätze an Gymnasien einnehmen können, gibt aber gleichzeitig vor, es herrsche Chancengleichheit.

Eine umfassendere Schulpflicht würde hier Abhilfe schaffen. Mehr noch: Sie würde ein echtes Problem lösen – dass es im Schweizer Arbeitsmarkt eine echte Nachfrage nach Fachkräften gibt:

Ingesamt zeigt der Faktencheck: Die Hochqualifizierten sind weder arbeitslos noch unterbezahlt. Überqualifikation gibt es nur punktuell. Unser Bildungssystem antizipiert die wachsende Nachfrage nicht, es hinkt ihr hinterher.

Statistiken stützen Pfisters Argument: 40% der Schweizer Bevölkerung sind tertiär gebildet, in den Städten rund 45%. Bei den Einwander*innen sind es 54%, in Zürich 80%. Die Schweiz liegt mit einer Abschlussquote auf der Tertitärstufe genau beim Schnitt der OECD (49%). Die Schweiz ist bei der Bildung durchschnittlich.

Das führt Pfister auf verschiedene politische Diskurse und kulturelle Sichtweisen zurück. Die Metapher vom Geissenpeter-Syndrom verdichtet diese Einsichten: Geissenpeter wollte nicht in die Schule, Heidi schon. Der Junge arbeitete gerne, aber mochte nicht in der Schule sitzen. Er steht so einerseits für eine gewisse Skepsis gegenüber den Zwängen eines Systems, aber auch für eine kindliche, männliche Sturheit, welche langfristige Erfolgsperspektiven einem kurzfristigen Gewinn an Freiheit unterordnet und sich dabei des Narrativs des »Self-made-Man« bedient, der in seiner Garage Apple erfindet und zu sagenhaftem Reichtum aufsteigt – alles ohne Schulbildung.

Kinder kommen nicht nur ans Gymnasium, weil sie intelligent sind. […] Sie werden intelligent, weil sie ans Gymnasium kommen. Die Schule bleibt hoffentlich nicht wirkungslos. Das Denken kann man lernen wie ein Lehrling sein Handwerk.

Das ist die Haltung, die Pfister den Geissenpetern entgegenhält. Leider – und das ist für mich der einzige leicht kritische Punkt bei der Argumentation dieses Essays – hält Pfister am Leistungsgedanken fest, der sich auch in der Formel »wollen und können« niederschlägt, die Pfister wiederholt, um sie auch zu dekonstruieren: Er zeigt, dass Wollen und Können soziale Dimensionen aufweisen, auf welche die Schule einwirken kann. Kinder können dazu gebracht werden, zu wollen und zu können.

Aber diese Rede – Leistung, wollen, können – geht noch immer am zentralen Punkt vorbei, den der Titel eines  Interviews mit Elsbeth Stern auf den Punkt bringt: »Lern- statt Leistungsorientierung«.

Stern sagt, gute Lernumgebungen – und darunter versteht sie zunächst keine direkte Instruktion – würden Unterschiede zwischen Lernenden vergrößern. Gleichwohl plädiert sie dafür, bis ins Alter von 15 keine Niveauselektion durchzuführen. Sie fordert

eine Gemeinschaftsschule, die aber vom ersten Schuljahr an akzeptiert, dass es große Leistungsunterschiede gibt und ihre Angebote danach ausrichtet.

Hier muss sich aus meiner Sicht die gymnasiale Bildung am stärksten wandeln und diese Leistungsunterschiede akzeptieren. Selektion bedeutet für viele Lehrpersonen an Gymnasien, dass sie sich mit so genannt schwachen Schülerinnen und Schülern nicht auseinandersetzen müssen und Lernangebote für eine homogene Elite schaffen.

Von dieser Vorstellung distanziert sich Pfister zu wenig. Er macht nicht deutlich, wie denn ein Gymnasium auszusehen hätte, das nicht nur ein Drittel der Jugendlichen besuchen könnten, sondern vielleicht auch die Hälfte. Ein Gymnasium, das sich nicht als Leistungsschule, sondern als Lernschule versteht.

Dieser Einwand mindert die große Leistung des Buches nicht: Mutig über Bildung nachzudenken. Mythen offen zu legen, die im Rahmen der dualen Ausbildung der Schweiz immer wieder Bildungspolitik prägen, ohne durch die Realität gedeckt zu sein. Und eine Vision zu finden, welche die wirtschaftliche und soziale Realität der Schweiz nicht einblendet, sondern als wesentlich betrachtet. Pfister will Bildung nicht aus abstrakten Idealen ausdehnen, sondern deshalb, weil sie Menschen in Beruf und Gesellschaft hilft.

Disclaimer: Ich habe kein Rezensionsexemplar bekommen und das Buch regulär gekauft. 

2 Kommentare

  1. lucycharls sagt:

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