Wie investiert man 150 Millionen für digitale Bildung?

Wie SRF berichtetSRF berichtet, will Bundesrat Schneider-Ammann 150 Millionen für digitale Bildung beantragen. Ein ähnliches Projekt in Deutschland, für das Bundesministerin Johanna Wanka 5 Milliarden Euro beantragt hat, hängt mittlerweile in der Luft.

Schon nur der Vergleich zeigt: 150 Millionen klingen nach sehr viel Geld, sind aber schon im Vergleich mit dem deutschen Projekt nicht besonders viel (proportional zur Bevölkerung würden in Deutschland deutlich über 400 Millionen beantragt). Diese Relativierung ergibt sich auch, wenn man den Betrag auf die Anzahl Personen runterbricht, die im Schweizer Bildungssystem ausgebildet werden (rund 1.5 Millionen): Beantragt würden also 100 Franken pro Lernenden oder Lernende. Für iPads reicht das also vorerst nicht.

Auch bezogen auf einzelne Schulen ergibt sich ein Betrag von deutlich unter 100’000 Franken – damit lassen sich weder WLAN installieren noch Labors mit 3D-Druckern installieren. Kurz: Es ist deutlich, dass die 150 Millionen strategisch eingesetzt werden müssen und nicht alle Wünsche erfüllen.

Investiert man das Geld in technische Infrastruktur, stellt sich sofort die Frage der Selektion und der Nachhaltigkeit. Die Dynamik und die hohe Geschwindigkeit des digitalen Wandels bringen es mit sich, dass heute investiertes Geld in fünf oder zehn Jahren möglicherweise keine Wirkung mehr entfalten kann, wenn es nicht jährlich wiederkehrend zur Verfügung steht.

Eine Alternative wäre ein Informatik-Projekt. Ohne zynische Scherze zu Informatikprojekten des Bundes wäre zu fragen, ob es sinnvoll wäre, eine Art Neuauflage von »Educanet« (also Educanet3?)  zur Verfügung zu stellen: Ein Portal, auf dem Bedürfnisse von Schulen, Lehrpersonen und Lernenden mit standardisierten und sicheren Werkzeugen digital erfasst werden können. Lernplattform, Lerntools, Schulcloud, Schuladministration und Anbindung für Schulverlage etc. alles aus einem Guss – aber so, dass Schulen eine für sie maßgeschneiderte Lösung implementieren können.

Davon wäre aus meiner Sicht abzuraten: Im Vergleich mit den großen Playern wie Google oder Microsoft reichen 150 Millionen nicht aus, um eine konkurrenzfähige Lösung in dieser Größenordnung zu entwickeln. Zudem nutzen alle Schulen schon Lösungen, die sie kennen und denen sie vertrauen. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Zukunftsfähig sind schlanke Lösungen, bei denen Menschen und Institutionen die Freiheit haben, eigene Netze zu bilden. Fette Lernmanagementsysteme, welche Lernende vermessen und sie mit den perfekten Aufgaben zum perfekten Zeitpunkt »fördern«, führen dazu, dass Menschen Werkzeuge von Werkzeugen werden, also Aufgaben erledigen, die Maschinen definieren. Die richtige Rollenverteilung ist die umgekehrte.

Wenn also weder technische Infrastruktur noch eine Bundesplattform der richtige Ort sind, um 150 Millionen zu investieren – wie dann? Mein Wunsch wäre ein Bildungsmodell für die Zukunft, um nicht zu sagen: Eine Vision. Ein Orientierungspunkt, ein Leuchtturm für die Schul- und Bildungsentwicklung, der die Diskussion über digitale Bildung auf das richtige Niveau hievt. Der grundsätzliche Fragen stellt und beantwortet: Was bedeutet Lernen im 21. Jahrhundert? Welche Kompetenzen brauchen mündige, produktive Menschen in der digitalen Gesellschaft – und wir unterstützt sie der Staat dabei, sie zu erlangen?

Im Idealfall entstehen dann auch Modellschulen, welche die Konzepte umsetzen, eine neue Leistungs- und Prüfungskultur, Schulhausarchitektur, Lernarrangements, Rollen von Lehrpersonen konkret aushandeln und veranschaulichen. So dass Verantwortliche bei den Kantonen, in den Gemeinden, bei Schulbuchverlagen und in Schulen eine gemeinsame Diskussionsgrundlage finden und nicht ständig von der technischen auf die finanzielle, von der didaktischen auf die disziplinarische, von der kulturpessimistischen auf die euphorische Ebene wechseln, sondern das Wesentliche sachlich diskutieren.

Noch eine Stufe konkreter:

  1. Der Bund stellt eine Gruppe motivierter, erfahrener und diverser Menschen für rund fünf Jahre frei, um über digitale Bildung nachzudenken. Darunter sind auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die von Anfang an im Projektteam dabei sind.
  2. Nach einem Jahr beginnt die Gruppe mit dem Betrieb einer Primar- und einer Sekundarschule sowie einem Ausbildungsgang an einer pädagogischen Hochschule, in denen digitales Lernen modellhaft praktiziert und reflektiert wird.
  3. Möglichst viele an Bildung und Bildungspolitik beteiligte sollten die Schulen besuchen und sich vor Ort ein Bild über Praktiken und Lernkultur machen.
  4. Die 150 Millionen dienen dazu, die Gruppe während fünf und die Schulen während vier Jahre zu finanzieren.

Der Wirtschaftsminister ist sich deshalb bewusst, dass man die Diskussion über das Geld «in epischer Breite» führen wird.

 

5 Kommentare

  1. Eine kluge Idee, aber ich kann mir aber nicht vorstellen, dass diese politisch mehrheitsfähig ist. Daher finde ich eine Investition in Infrastruktur nicht die schlechteste. Mit 100’000 (ich glaube dir die Zahl nun einfach mal) kann man problemlos ein brauchbares WLAN Installieren und für ein paar Jahre betreiben. Auch für Geräte bleibt dann noch einiges übrig (Chromebooks statt iPads reichen völlig). Statt Giesskannenprinzip wäre das Geld eine Möglichkeit etwas für die Chancengleichheit zu tun. Während an einzelnen Schulen fast alle Schüler über gute eigene Smartphones und Computer zu Hause verfügen, ist an anderen fast gar nichts vorhanden. Ich bin überzeugt: Mit der Infrastruktur kommt auch die Nutzung und entstehen Konzepte. Dies lässt man dann nach 5 Jahren nicht einfach wieder sterben. Konzepte und Didaktiker für Schulen ohne WLAN und Geräte würde ich da als kritischer einstufen.

    Aber falls es deine Gruppe doch mal geben wird stelle ich mich gerne für die Mitarbeit zur Verfügung;) Danke für den spannenden Artikel!

  2. irgendeiner sagt:

    Bei der Ankündigung des Bundesrats geht es m.E. vor allem darum, dass gezeigt wurde dass man (irgend) etwas tun möchte….

  3. brueedi sagt:

    Wie du richtig schreibst, sind die 150 Mio, verteilt nach dem Giesskannenprinzip, ein Tropfen auf den (einzelnen) heissen Stein. Von einer Investition in ein educanet (3) rate ich ab – die Gründe hier anzuführen, würde den Rahmen sprengen. Ich schlage vor, die 150 Mio exclusive in die obligatorische Ausbildung der Fachdidaktik DozentInnen (bis 50 Jahre) an den PHs zu investieren.

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