Social Media sind Fugenkitt – und andere Learnings von #sollive

Gestern war ich mit unserem Youtube-Projekt zu Gast bei einer Austauschrunde, die Andreas Sägesser an der PH Zürich organisiert. Im Mittelpunkt von #sollive steht die Frage nach dem selbstorganisierten Lernen. Die Teilnehmenden unterrichten einerseits, sind aber andererseits enorm vertraut mit wirksamen Lernstrategien. Visualisierung, kooperatives Lernen, Dokumentation von Lernprozessen, erschließen von Ressourcen – das sind keine Schlagwörter, sondern die Basis einer Lernkultur, die für mich beeindruckend war. Das zeigt sich am Umgang mit der Zeit: Der Austausch dauert so lange, wie dafür benötigt wird. Lernen hat Priorität – für einen selbst, aber auch in der Gestaltung von Unterricht. Im Folgenden drei Einsichten, die mit gestern Abend im Gespräch klar geworden sind.

  1. Die Funktion von Social Media im Umgang mit Lernplattformen
    In Bildungsdiskussionen werden Lernplattformen wie Moodle oft Social Media gegenübergestellt. Wenn ich über Social Media spreche, wird oft zurückgefragt, warum ich solche Prozesse nicht mit Lernmanagementsystemen durchführen würde, die seien doch besser auf Schulen abgestimmt. Gestern wurde mir in einem Gespräch klar, dass Social Media eine Ergänzung darstellen: WhatsApp-Gruppen sind beispielsweise das, was Lerngruppen hilft, die mächtigen Systeme zu verstehen und bewältigen. Sie enthalten zudem Mechanismen, mit der Informationsflut umzugehen, indem persönliche Lernnetzwerke im richtigen Moment die relevanten Informationen sicht- und verknüpfbar machen. Social Media sind der Fugenkitt fürs (digitale) Lernen.
  2. Der entscheidende Trick für den Netzwerkaufbau: Fragen
    Vor drei Jahren wurde mir durch ein Referat von Howard Rheingold bewusst, wie Lernnetzwerke funktionieren. Andreas Sägesser fasste eine wichtige Technik sehr knapp zusammen:
    a) Personen, die man in sein Netzwerk einbinden möchte, im Netz eine Kernfrage stellen.
    b) Die Antwort sowie andere Ressourcen dieser Fachperson bearbeiten und die Resultate verdichtet zurückschicken.
    c) Darauf intensiviert sich der Kontakt, der Prozess kann wiederholt und erweitert werden.
    Tatsächlich funktionieren so viele der Kontakte, die ich in den letzten Jahren im Netz geknüpft habe. Es entstehen Vertrauen und eine Vorstellung der Interessen und Kompetenzen von Netzbekanntschaften.
  3. Prüfungen sind Lernprodukte, externe Korrekturen unnötig
    Roland Züger hat beim informellen Austausch nach dem Austausch pointiert darauf hingewiesen, wie er mit Prüfungen umgehe: Er lasse die Lernenden schon Prüfungen schreiben, wenn sie wollen – aber korrigieren müssten sie sie selbst (mit Musterlösungen). Schließlich sei eine korrigierte Prüfung ein wichtiges Lernprodukt. Diese Einsicht ist absolut einleuchtend, wenn Lernprozesse im Mittelpunkt stehen. Selbstverständlich sind Prüfungen nicht ideale Lernwerkzeuge, weil sie Kooperation ausschließen (Andreas: »Wann hast du zum letzten Mal ein Problem alleine gelöst?«). Aber für die Vorstellung, jemand anderes müsste Lernprozesse beurteilen, sind sie exemplarisch.<
    Aus dieser Sicht resultiert dann ein bedingungsloser Vertrauensvorschuss, den Lehrende Lernenden gewähren – er führt dazu, dass nicht die Bewertung von Lernprodukten im Mittelpunkt des Unterrichts steht, sondern die Produkte und die dahinter stehenden Lernprozesse selbst.

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4 Kommentare

  1. lernbegleiterin sagt:

    Ich begreife diesen Text als Bestärkung meiner derzeitigen Denkprozesse und Tätigkeiten im Zusammenhang mit (digitalem) Lernen. Und natürlich als Anregung. Danke dafür!

    Beim Begriff „Fugenkitt“ habe ich kurz geschluckt, verstehe zwar die Bedeutung, suche aber nach einem für mich passenderen Begriff. Vielleicht kommen wir darüber noch mal ins Gespräch.

  2. Moodle kann man vielfältig einsetzen. Aber ein Social-Media-Tool ist es für mich nicht, sondern ein Lernmanagementsystem. (Wichtigstes Kriterium: Moodle ist nicht offen.)

  3. brueedi sagt:

    Irgendwie passen bei mir Moodle und SOL nicht zusammen. Wer Moodle in der Lehre (nicht zum Lernen!) einsetzt, will wissen, wer was wie lang in Moodle gemacht hat. Und wer mit Moodle „selbstorganisiert“ lernt, löst nachweislich die Aufgaben, die ihm gestellt wurden.

    Gehe ich richtig in der Annahme, dass „Social Media“ das ist, als was es in Wikipedia beschrieben wird? Dann verstehe ich die Gegenüberstellung nicht.

    Eben heute laufen die VolksschullehrerInnen des Kt. SH in kleineren und grösseren Gruppen durch meinen Wohnort, manche von ihnen sorgsam ein Handy vor sich hintragend. Von Ort zu Ort lösen sie die ihnen in Locandy gestellten Aufgaben. Sie tun dies anlässlich der Impulsveranstaltung zum neuen Modul „Informatik & Medien“ im LP21. Und meinen vielleicht, dies hätte etwas mit digitalem Lernen zu tun.

    Statt am selben Morgen 2 oder 3 oder 4 digitale Schnitzeljagden selbst zu produzieren, um ihre SchülerInnen zu lehren, ebensolche Schnitzeljagden zu produzieren und zu teilen.

    Zurück zu Moodle vs Social Media. Die digitalen Medien erweitern das selbstorganisierte Lernen. Ich erlebe das seit bald einem halben Jahr bei meiner jüngeren Tochter, die sich auf die Anwaltsprüfung vorbereitet, selbstorganisiert vorbereitet! – ausstaffiert mit Smartphone (zum direkten Austausch mit anderen), Book (zum Schreiben und für Videokonferenzen) und vorallem mit kiloweise Bücher.

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