Relevanz, Social Media und die Filter Bubble

Die Diskussion rund um #Aufschrei, eine auf Social Media initiierte Debatte über Alltagssexismus (zunächst nur als Ausdruck sexistischer Erfahrungen gedacht), führte auch zu Diskussionen über die Frage, ob die Masse von Tweets oder anderen Äußerungen auf Social Media Indikator für die Relevanz eines Themas sein kann.
Rainer Stadler, Medienexperte der NZZ hat sich dazu pointiert geäußert:

(Der Kontext kann auf Storify nachgelesen werden.)

Relevant kann also, so Stadler, nur etwas sein, was wahr ist. Während es in seinem Bildbereich, der Mathematik, Wahrheit als eindeutige Eigenschaft geben mag, ist Wahrheit im sozialen und politischen Bereich multiperspektivisch, Kafkas Aussage, Wahrheit gebe es allenfalls im Chor, passt dafür gut. Relevant ist, was einen Chor dazu bringt zu singen. Mit dieser Metapher kann man zwei Abgrenzungen vornehmen: Erstens braucht es für Relevanz nicht nur den Konsum entsprechender Meldungen, sondern echtes Engagement von Menschen (singen ist nicht dasselbe wie zuhören), zweitens kann der Chor für gewisse Zuhörende auch unschön oder falsch klingen: So lange er singt, bringt er viele Stimmen zusammen und hat so Gewicht, also Relevanz.

Haben nun die größten Chöre die größte Relevanz? Oder die, welche besonders schön, virtuos oder laut singen? Diese Frage scheint mir nicht besonders interessant. So lange es einen Chor gibt, ist ein Thema relevant. Größe des Chors, Schönheit des Gesangs, Virtuosität und Lautstärke haben sicher alle einen Einfluss. Entscheidend scheint mir viel mehr, dass wir selber auch alle in Chören mitsingen. Die Frage ist, ob wir dabei auch die anderen noch hören.

Das ist, was Eli Pariser Filter Bubble genannt hat:

Der Grundcode des neuen Internets ist recht simpel. Die neue Generation der Internetfilter schaut sich an, was Sie zu mögen scheinen – wie Sie im Netz aktiv waren oder welche Dinge oder Menschen Ihnen gefallen – und zieht entsprechende Rückschlüsse. Prognosemaschinen entwerfen und verfeinern pausenlos eine Theorie zu Ihrer Persönlichkeit und sagen voraus, was Sie als Nächstes tun und wollen. Zusammen erschaffen diese Maschinen ein ganz eigenes Informationsuniversum für jeden von uns – das, was ich die Filter Bubble nenne – und verändern so auf fundamentale Weise, wie wir an Ideen und Informationen gelangen.

Wenn nun Vertreterinnen und Vertreter traditioneller Medien Themen wie die mit #Aufschrei in Verbindung gebrachten deswegen ignorieren oder geringschätzen, weil hier nur eine »Empörungswelle« heißlaufe, dann nehmen sie implizit auf die Vorstellung einer Filter Bubble Bezug: Das Internet führe halt Mesnchen zusammen, die sich empören wollen, und wenn sie es tun, scheint das schnell ein lauter Chor zu werden, der deswegen aber keine Relevanz beanspruchen kann. Anders gesagt: Den Social-Media-Usern schienen halt die Themen relevant, die in ihrer Filter Bubble viel Plat einnähmen, obwohl sie gar nicht relevant seien.

kafka wahrheit

Rainer Stadler schlägt alternativ klassische Relevanzmerkmale vor:

 

Interessant ist hier, dass auch Stadler auf eine Filterblase verweist: Die Klick- und Leserdaten seiner eigenen Publikation (oder Texte) sind ihm bekannt, Rückmeldungen erhält er aus seinem eigenen Umfeld und der von ihm wahrgenommenen Konkurrenz.

Social Media ermöglicht aber eine Wahrnehmung von vielen Stimmen. Die Vorstellung, man sähe darin nur den eigenen Kontext, kann man nämlich getrost zurückweisen. Christoph Kappes leitet daraus eine Kritik an Parisers Konzept ab (pdf):

Das Internet filtert nicht wie herkömmliche Medien Informationen für den Rezipienten weg, sondern eröffnet nur – potenziell unendlich viele – gefilterte Sichten. Gern wird zur Veranschaulichung die Cafeteria als Beispiel genannt, die durch die Vorauswahl an Mahlzeiten die Möglichkeiten verringert, während das Web sozusagen alle Zutaten mit Rezepten bereitstellt. Eine bestimmte Information wird obendrein an vielen Stellen des Nachrichtenkonsums auftauchen, wenn sie gewisse Relevanzschwellen überschreitet. Wer sich sein Netzwerk nach durchschnittlichen Maßen zusammenstellt, also mit etwa einhundertfünfzig Kontakten, kann daher kaum eine ihn interessierende Information übersehen. […] Dass es nicht zu einer Gleichartigkeit von maschinellen Empfehlungen kommt, ergibt sich auch daraus, dass keine Situation wie die andere ist: Sie ist nach Zeit, Ort und Personen sowie deren Bedürfnissen, Kontexten, sozialen Beziehungen und Informationslandschaften immer neu.

Durch Social Media hergestellte Relevanz unterscheidet sich auf zwei Arten von traditionellen Vorstellungen:

  1. Die Daten sind allen ungefiltert zugänglich, nicht nur einer schreibenden Eliter.
  2. Daten entstehen durch Engagement der Teilnehmenden, nicht durch bloßen Konsum.

Dafür zwei Beispiele: In der Weltwoche dieser Woche argumentiert Alex Baur, von 63 Kommentaren auf der »Webseite des Tages-Anzeigers« hätten nur 13 eine bestimmte Haltung ausgedrückt. Dieses Argument wird angesichts der Tatsache problematisch, dass die Kommentare gefiltert sind – und zwar ohne dass der Filter transparent wäre. Ähnlich verhält es sich bei Klickzahlen: Gerade auf Newsnet, also der »Webseite des Tages-Anzeigers« dominieren oft Artikel die Charts, die mit reißerischen Titeln oder »attraktiven« Bildern versehen sind. Interessant wären die Zahlen, wenn erkennbar wäre, wie lange Menschen eine Artikel gelesen haben. Der Klick auf den Artikel zeigt weder Interesse noch Engagement.

Kurz: Social Media aufgrund der Tatsache, dass alle mitschreiben können, die Fähigkeit abzusprechen, Relevanz zu erzeugen, ist wohl keine sinnvolle Haltung. Im Blick zu behalten, dass nur wenige Menschen auf Social Media aktiv sind, ist allerdings auch nicht falsch.

 

 

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