Vom Paradigma der »Digitalisierung« zum Paradigma der »Digitalität« oder »Postdigitalität« 

Diese Überlegungen habe ich in einer Keynote am Symposium »Lernen digital« an der TU Chemnitz im März 2021 ausführlich formuliert. Folien: phwa.ch/chemnitz

Der Begriff Digitalisierung impliziert, dass etwas digital wird, was zuvor nicht-digital war. Er bezieht sich auf einen Prozess, der als solcher in eine (nahe) Zukunft verlagert wird und oft als begründungspflichtig dargestellt wird: Wer digitalisieren will, muss erklären, weshalb diese Form der Digitialisierung sich lohnt. Digitalisierung bringt die Frage »oder könnten wir es auch lassen?« mit sich, um auf eine ironische Wendung von Marina zu verweisen.

Hier ein Beispiel aus dem #twitterlehrerzimmer, das zeigt, wie Digitalisierung als Paradigma in einem didaktischen Kontext funktioniert.

Die Autorin geht davon aus, dass Rezepte an sich (als »Thema«) nicht-digital ist, möchte aber digitale Medien mit einbeziehen.

Rezepte sind aber an sich schon digital, viele Menschen nehmen sie über TikTok, Instagram oder Youtube wahr, sie verstehen Rezepte als Koch-Tutorials, wo etwas vorgekocht wird, was sich danach nachkochen lässt (vgl. dazu das Gedankenschach-Gespräch mit Katarina).

Hier das Beispiel #fetapasta, über das die New York Times ausführlich berichtet hat:

@clarkbar.mc

#fetapasta my first TikTok! With help from @nytcooking #fyp #foryoupage #foryou #tiktokpasta @nytcooking

♬ original sound – Melissa

Das Paradigma der Digitalität geht davon aus, dass Digitalität erstens existiert (in der Form digitaler Phänomene, z.B. Rezepte) und zweitens im Hintergrund bei allem da ist, was Menschen machen. Für den Unterricht bedeutet das, dass nicht etwas zusätzlich hinzukommt, sondern relevante Themen immer auch mit digitalen Aspekten und Kommunikationsformen verbunden sind. Man kann nicht nicht-digital lernen.

Dieses Paradigma könnte man auch postdigital nennen, z.B. mit der Formulierung von Felicitas Macgilchrist:

Vergleich man das Paradigma »Digitalisierung« mit dem Paradigma »(Post-)Digitalität«, dann ergibt sich eine schöne Erklärung für das Mehrwert-Problem:

Wer Digitalisierung als Ergänzung wahrnimmt, fragt nach dem Mehrwert dieses Zusatzes (weil es ohne den Zusatz ja irgendwie auch geht). Wer aber Digitalität als Hintergrund oder Bestandteil von Kultur sieht, empfindet die Frage nach dem Mehrwert so absurd wie die Frage, was der Mehrwert von Kohlehydraten für die Ernährung ist.

1 Kommentar

  1. Maike sagt:

    Und trotzdem esse ich eine Pasta. Wenn ich am Tisch sitze und sie genießen, ist es mir egal, woher der Koch das Rezept hat.

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