Die Datenschutz-Sprache

Datenschutz ist abstrakt. Beginnt man, darüber zu diskutieren, wird schnell unklar, was mit »Daten« oder »Schutz« überhaupt gemeint ist. »Datensicherheit« z.B. ist nicht Datenschutz, gemeint ist also nicht zwingend, Daten so zu sichern, dass sie nicht verloren gehen oder bestimmte Unbefugte nicht darauf zugreifen können.

Deshalb sprechen Fachleute auch zunehmend von »informationeller Selbstbestimmung« (vgl. Zusatz unten zu diesem Satz). Was das Problem nicht löst, sondern verschiebt: Auch hier muss geklärt werden, was mit »Informationen« und »Selbstbestimmung« gemeint ist. Dieser Ersatzbegriff zeigt aber ein Phänomen, das ich etwas genauer diskutieren möchte: Die Metaphern, die im Datenschutzdiskurs gebraucht werden, lassen viele Vorstellungen entstehen, die Menschen von bestimmten Positionen überzeugen sollen, aber technisch wie auch philosophisch von falschen und auch problematischen Annahmen ausgehen.

Daten sind kein Eigentum

Das Paradebeispiel für dieses Problem ist die Vorstellung, Daten seien Eigentum (oder sollten so behandelt werden). tante hat dieses Problem vor einigen Jahren ausführlich diskutiert:

Eigentum als Idee ist grundsätzlich einfach und – wenn in Gesetzen oder Regeln formalisiert – wenig aufwändig: Ich muss mich mit niemandem absprechen um mein Zeug zu benutzen.
Aber genau die Idee der Knappheit von Objekten, die in der physischen Welt vorherrscht, überträgt sich nicht ins Digitale: Ich habe hier einen Datensatz auf meiner Festplatte, beispielsweise eine Sammlung aus 100 Affenbildern. Ich kann diesen Datensatz beliebig vielen anderen Menschen geben und habe ihn immer noch auf meiner Festplatte. Ohne Verschlechterung durchs Teilen. […]
Nun kann man natürlich auch einfach die grundsätzliche Legitimation oder Herleitung des Begriffs ignorieren. Es geht ja nur ein Werkzeug, welches irgendwie kommuniziert und durchsetzbar macht, was man sagen will. Aber was ist denn die Aussage? Welche Daten sollen denn »meine« sein? […]
So entsteht mein digitaler Zwilling, ein Amalgam unterschiedlicher Datenquellen, die mich und die Facetten meiner selbst fragmentarisch ins Digitale projizieren. Gehört dieser Zwilling mir, wo ich doch – mittelbar oder unmittelbar – der Auslöser für alle diese Daten bin? […]
Zu Ende gedacht ist die Idee des Eigentums an den Daten über mich vor allem die Behauptung, ich müsste in den Gedanken und Datenbanken der Menschen, die mit mir irgendwie in Verbindung stehen, herumschreiben dürfen. Denn in den Köpfen der anderen sind wir immer nur Daten – ob aus digitaler Quelle oder aus Sinneseindrücken abgeleitet, spielt dabei keine Rolle. Gehört mir der Gedanke, den jemand anderes über mich hat?
Der Eigentumsbegriff bei der Betrachtung der personenbezogenen Daten ist ein Irrweg, eine inhaltlich widersprüchliche Sackgasse, die argumentative Konsistenz einem platten und scheinbar eingängigem Bild opfert. Wir mögen Auslöser vieler Daten sein, aber sie gehören nicht uns […]

tante, Wem gehört mein digitaler Zwilling? (leicht adaptiert)

Daten sind kein Rohstoff

Daten wurden lange als »Öl« bezeichnet und werden weiterhin oft mit Rohstoffen verglichen, die knapp, aber wertvoll sind. Damit entsteht ein falscher Gedanken (Daten sind nicht knapp) und ein problematischer Frame: Wer mit Daten handelt, lebt davon, diese als wertvoll zu bezeichnen. Das sind Daten per se aber nicht, es ist ein Versprechen von Silicon-Valley-Startups, mit Daten Geld verdienen zu können. Wenn kritische Diskurse diese Marketing-Aussagen bis in die verwendeten Sprachbilder übernehmen, ist es sehr schwer bis unmöglich, sich von diesem Frame zu lösen.

Unternehmen, die Daten sammeln, sind keine Kraken

Krake (Bildquelle)

Kraken sind ein verschwörungstheoretisch und antisemitisch aufgeladenes Symbol für Machtstrukturen, die im Geheimen eine globale Einflussnahme aufgebaut haben. Wie die Machtausübung von Unternehmen funktioniert, die primär Daten verarbeiten und archivieren, ist ein komplexes Thema (meine Einführung dazu findet man hier). Das Bild einer Krake macht diese Machtstruktur aber auf jeden Fall diffuser: Sie suggeriert Dinge, die aufgeklärte Kritik meiden sollte – insbesondere, dass wir irgendwie keine Möglichkeit zum Widerstand haben, weil es die Auswirkungen einer Verschwörung sind.

Ein Beispiel

(Auf diesen Abschnitt gibt es hier eine Replik.)

Adrienne Fichter hat auf dem neuen Portal dnip.ch kürzlich erklärt, wie das Konzept entstanden ist, von User*innen möglichst viele Daten abzufragen. Diese technikhistorische Betrachtung empfinde ich als sehr wertvoll. Die verwendete Sprache enthält aber eine Reihe von Bildern, die den oben geschilderten Zusammenhang repräsentierten. Hier eine kleine Auswahl:

  • Das Verfahren, E-Mail- oder andere Adressen zu sammeln, bezeichnet Fichter als »Email- und Kontaktschürfen« oder als »Staubsauger«-Funktion. Damit werden Adressen bzw. Daten mit Bodenschätzen oder Staub gleichgesetzt. Neben der schon erwähnten Probleme führt das auch dazu, dass der Bezug zu Menschen wegfällt: Schürf- oder Reinigungsvorgänge betreffen mich ja nicht als Person; während Fichter dafür argumentiert, dass die Praktiken rund um die Adresssammlungen Menschen benachteiligen.
  • Die Tragweite der Vorgänge fasst Fichter mit globalen Begriffen: »Datenverbrechen«, »Überwachungskapitalismus«, Freunde würden »dem Datenhai zum Fraß« vorgeworfen. Hier findet man eine Wertung, die mit Übertreibungen agiert. Es geht darum, dass Telefonnummern ohne Einverständnis der damit verbundenen Personen weitergegeben und gesammelt werden. Ist das ein Verbrechen? Kommt es hier zu Überwachung? Ist das eine Spielart von Kapitalismus? Handelt es sich um eine Frage von Leben und Tod?

Wie gesagt: Es ist wichtig, das Vorgehen von Clubhouse, Facebook und anderen kritisch zu beleuchten. Das sollte aber nicht mit dieser Sprache geschehen.

Warum nicht? Die Bilder und Begriffe werden gewählt, um einem Publikum, welches bei diesem wichtigen Thema emotionslos bleibt, deutlich zu machen, dass gravierende Probleme verhandelt werden. Das müsste aber argumentativ geschehen. Die Sprache wechselt die Ebene und verhandelt so ein Thema emotional, das sachlich geklärt werden müsste. Statt von Meerestieren, Verbrechen, Rohstoffen etc. zu sprechen, müsste man Menschen klar machen, weshalb es wirklich ein Problem ist, wenn Clubhouse Telefonnummern speichert.

Eine bessere Datenschutz-Kritik

Fichter erwähnt Beispiele aus Levys Buch »Weltmacht am Abgrund«. Die Beispiele zeigen unheimliche soziale Situationen, die entstehen, wenn Plattformen Daten sammeln und verknüpfen. Konkrete Geschichten sind ein erstes Verfahren, das ich für Datenschutz-Kritik empfehle: Abstrakte Vorgänge werden zu menschlichen Storys, die deutlich machen, wen das wie betreffen könnte.

Ein zweites Verfahren ist eine möglichst sachliche Beschreibung von Vorgängen, die nicht gewertet werden. Wenn die Phänomene tatsächlich so schlimm sind, dann wird das auch dann deutlich, wenn ich sie nur beschreibe – und sie Leser*innen ihr eigenes Bild machen.

Ein drittes Verfahren ist guter Datenjournalismus: Wie viel Geld verdienen welche Unternehmen mit welchen Datensätzen? Wer solche Informationen gut aufbereitet, erlaubt dem Publikum, Zusammenhänge nachvollziehen zu können.

Ein letzter Aspekt: Datenschutzkritik darf nicht einseitig werden. Klimpels Hinweis darauf, dass »Datenschutz [sich] aufgrund seiner einschüchternden Wirkung zu einer ernsten Gefährdung der freiheitlichen Ordnung entwickelt« hat ist zumindest für Deutschland sicher zutreffend. Wer das ausblendet, tut niemandem einen Gefallen.

Kurz: Eine sachliche Sprache wäre ein Baustein einer Datenschutzkritik, die Aufklärung ist, nicht Warnung.

Zusatz, 14. März

»Informationelle Selbstbestimmung« ist ein Begriff aus dem juristischen Diskurs. Er ist nicht neu. Gleichwohl ist es eine Strategie, bei abstrakten Datenschutzfragen, diese Formulierung zu verwenden, um damit eine maximale Position als juristisch legitimiert zu markieren: Weil offenbar alle über alle Informationen, die sie betreffen, frei verfügen dürfen, dürfen keine Daten verarbeitet werden, ohne dass dafür eine gesetzliche Grundlage besteht (und das Einverständnis aller Betroffener eingeholt worden ist). Da das in der Realität kaum möglich ist… 

Was hier wichtig wäre: Eine offene Diskussion darüber, über welche Informationen ich als Mensch selber bestimmen kann und bestimmen können soll. Sollte ich darüber bestimmen können, wer meinen Namen/Geburtstag/Lohn/… kennt, ihn in ein Notizbuch schreibt etc.? Das sind Fragen, die durch den Begriff »informationelle Selbstbestimmung« nicht geklärt werden.

Wer das so kritisch einwirft, ist deswegen aber nicht gegen Grundrechte und die Demokratie. Das ist aber ein Vorwurf, der über die Gesetzes-Formel erhoben werden kann.

4 Kommentare

  1. Bei DNIP.ch sind wir jedoch Fans von Differenzierung, Genauigkeit, Faktenbasis und einer darauf basierenden Haltung. Deshalb möchte ich Deine s Kurzanalyse meines Beitrags wieder satzweise auseinandernehmen, Stück für Stück. Ihr kennt es. 🙂

    Die kurze Zusammenfassung (und Kritik) von meiner Seite: Deine Ausführungen sind wie immer kurz gehalten, gut geschrieben und interessant. Doch Dein Plädoyer für Sachlichkeit und für eine „bessere“ Datenschutz-Sprache/Kritik halte ich für faktisch falsch und irreführend, sogar gefährlich (weil sie Apathie und Defätismus befördern).

    Denn: Deine Replik enthält null technischen Fakten und politisch-historische Realitäten. Mehr noch: Du wendest eine irreführende Diskursstrategie an: Ohne Nennung von konkreten Gegenbeispielen und vertiefter Begründung bleibt unklar, was Du beispielsweise unter einer „sachlichen“ Sprache konkret versteht. Mit Deiner – allgemein sehr oft- relativierenden Haltung beim Thema Privacy gehst Du dem soziotechnischen und politischen Diskurs aus dem Weg. Du verbleibst auch in diesem Beitrag im Vagen, Oberflächlichen, Wolkigen, riskierst damit auch nichts und machst sich damit auch vermeintlich unangreifbar. Auch das eine Strategie die ich sehr bedaure, weil so kein echtes Gespräch auf Augenhöhe aufkommt.

    Meine Replik auf Deine Kritik:
    https://dnip.ch/2021/03/17/die-faktenfreie-wolkige-datenschutz-kritik/

  2. Meinrad sagt:

    Ich denke auch, dass sich in diesem Bereich die Wirklichkeit so schnell geändert hat, dass die Sprache nicht mitgekommen ist. Man erinnere sich an die „Datenautobahn“ und das „surfen im weltweiten Netz“. 🙂

    In den letzten zehn, zwanzig Jahren hat sich die Datenverarbeitung massiv verändert. Nicht nur gibt es mehr Datenbanken, diese sind auch viel mehr verknüpft als früher.

    Früher hatte man noch mehr oder weniger das Eigentum an und die Hoheit über seine Daten. Wenn man seine Handynummer einem Kollegen gegeben hat, hatte der sie auf dem Handy und hat sie vielleicht einem Bekannten weitergegeben, wenn der danach gefragt hat.

    Heute gibt man die Nummer einem Kollegen, der speichert sie in seinem Adressbuch, startet WhatsApp und dann ist die Nummer ganz woanders.

    Aber auch das „Schutzbedürfnis“ der Leute hat sich gewandelt: vor 20 Jahren gab man seine Handynummer nur sehr sparsam weiter. Die Festnetznummer stand im Telefonbuch, aber die Handynummer war nur für Freunde. Heute hat man keine Hemmungen, die Nummer überall einzutragen und zu Diensten hochzuladen.

    Ich will die Neuerungen nicht alle verteufeln, aber ich finde es gut, wenn man hinterfragt, für was welche Daten gesammelt werden. Wenn ich einen Webdienst verwende, kann der gerne meine E-Mail-Adresse haben. Aber wenn die Feuerzeug-App auf dem Smartphone Zugriff auf meinen Standort und mein Adressbuch haben will, bin ich nicht einverstanden.

  3. Maik Riecken sagt:

    Dein Punkt ist, dass es eine neutrale Sprache geben sollte, um zu beschreiben, was mit Daten geschieht.

    Um etwas neutral zu beschreiben, muss man etwas sehen oder begreifen können. Das Grundproblem ist, dass man das beim Umgang mit Daten (noch) nicht kann. Einerseits entzieht sich das Digitale physischen menschlichen Sinnen. Es braucht also Abstraktionsvermögen und eine Denkleistung, die nicht voraussetzungslos ist.

    Weiterhin braucht es einen wie auch immer gearteten Rahmen, der dieses „Sehen“ und „Beobachten“ überhaupt erlaubt. Datenschutz spricht dabei von „Intervenierbarkeit“.

    Anders gibt es keinen greifbaren Gegenstand zum Beschreiben – oder es kommt intellektuell verhärmtes Zeugs heraus, was letztlich nur auf unüberprüfbaren Vermutungen beruht, egal bei welchem Zugang übrigens.

    Es gibt nur Indizien, z.B. dass die Googlesuchergebnisse miserabel werden, wenn ich mit einem Googlekonto diese Daten von mir lösche, ist ein Indiz dafür, dass das Löschen einen Effekt hat – kein Beweis.

    Im Falle der fehlenden Daten zum Coronavirus hat man sich i.d.R. für ein vorsichtiges Vorgehen entschieden, bzw. rächen sich andere Strategien teilweise.

    In diese Unsicherheit hinein wird beim Umgang mit Daten bisher beschrieben – vielleicht übertrieben und zugespitzt, im Idealfall deswegen, um überhaupt einen Rahmen für eine Beobachtbarkeit zu schaffen.

    Aus der Sicht eines maximal privilegierten Anwenders – wir beide gehören wohl dazu – ist das Verlangen nach neutraler Sprache sachlogisch – in der späteren Rückschau ggf. vielleicht auch maximal naiv.

    1. Ich weiß nicht, ob es nur eine sachliche Sprache geben kann, wenn etwas direkt wahrnehmbar ist. Klar ist auch ein Begriff wie »Daten« oder »speichern« letztlich ein Bild – aber halt doch sachlicher als »Staubsauger«, oder empfinde nur ich das so? Und das ist doch dann nicht naiv, auch aus einer späteren Perspektive?

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