Dürfen Äußerungen im Internet zu Schulstrafen führen?

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Im aktuellen Jusletter ITeiner Fachzeitschrift für Recht und Internet, beschäftigt sich ein Aufsatz von Nuscha Wieczorek mit der Frage,

ob und wann Schulen ihre Schüler für ausserschulische Äusserungen im Internet (etwa über soziale Netzwerke) disziplinieren dürfen, ohne dabei die Meinungsfreiheit zu verletzen.

Der Aufsatz – leider hinter der Paywall, danke für den Hinweis, Martin Steiger! – benutzt für die Beurteilung dieser Frage Gerichtsurteile aus den USA, weil die schweizerische Rechtssprechung noch keine solchen Fälle beurteilen musste. Ihre Aussagen haben dabei keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern entsprechen dem Status eines Rechtsgutachtens, von dem die Gerichtspraxis durchaus abweichen kann. Der Aufsatz bietet jedoch Schulleitungen und Schulen eine sinnvoll, juristisch fundierte Entscheidungsgrundlage. Im Folgenden fasse ich Ihre Einsichten so zusammen, wie ich sie als Laie verstehe. Über Korrekturen und Präzisierungen freue ich mich wie immer.

Die Ausgangslage: Schulen genießen ein Sonderstatut, das heißt sie dürfen unter bestimmten Umständen die staatlich garantierte Freiheiten von Jugendlichen einschränken. Dazu gehört unter anderem die Meinungsäußerungsfreiheit: Schülerinnen und Schüler können beispielsweise bestraft werden, wenn sie Lehrpersonen gegenüber verbal ausfällig werden.

Unter welchen Umständen gilt das nun für Äußerungen im Internet?

Wieczorek kommt zu folgenden Schlüssen:

  1. Ein personell-örtlicher Zusammenhang zur Schule ist gegeben, wenn
    a) Kommunikation auf der Schulwebseite oder im Schulintranet erfolgt
    b) schulische Infrastruktur dafür benutzt wird
    c) die betroffenen Schülerinnen oder Schüler während der Schulzeit (d.h. an der Schule) kommunizieren.
  2. Es reicht nicht aus, dass der Adressatenkreis Mitschülerinnen oder Mitschüler sind.
  3. Die Äußerung muss den Schulbetrieb stören und gleichzeitig in einem kausalen Zusammenhang mit der Störung stehen, d.h. es reicht nicht alleine aus, dass nur der Schulbetrieb gestört wird (weil z.B. ein Schüler sich im Internet freizügig präsentiert oder in einem Computerspiel großen Schaden anrichtet). Die Aussagen müssen sich deshalb grundsätzlich gegen Schulpersonal oder Mitschülerinnen/Mitschüler richten.
  4. Schulen müssen klar zwischen berechtigter Kritik an Lehrpersonen und Diffamierungen unterscheiden, was besonders problematisch ist, wenn die kritisierten Personen auch die disziplinarbefugten sind.
  5. Problematisch sind nur öffentliche Äußerungen. Private berechtigen eine Schule nicht zu Disziplinarmaßnahmen.

Das Fazit:

Aus der vorangehenden Erörterung ergibt sich, dass das Interesse von Schulen an der Ausübung ihrer Disziplinargewalt über die Internetkommunikation von Schülern nur unter sehr engen Voraussetzungen schwer genug wiegt, um einen derartigen Eingriff in die Meinungsfreiheit der Schüler zu rechtfertigen. Hierzu muss die ausserschulische Internetkommunikation eine ernsthafte Störung der Schulordnung zur Folge haben, eine Verletzung der einen Schüler bindenden besonderen Pflichten darstellen und öffentlich erfolgt sein.

Wieczorek merkt weiter an, dass die »Anforderungen an die Normstufe und Normbestimmtheit« sehr hoch sein müssen, d.h. konkret, die Schule muss sich bei dieser Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf ein Gesetz und eine Verordnung stützen können, welche  Schülerinnen und Schüler erkennen lassen, dass und wie ihre Meinungsäußerungsfreiheit im Internet eingeschränkt ist.

Eine Checkliste sähe wie folgt aus:

Ein Schüler, eine Schülerin darf nicht bestraft werden, wenn Sie eine der folgenden Fragen mit »nein« beantworten können. Die Checkliste bezieht sich nur auf außerschulische Kommunikation im Internet, d.h. nicht auf Äußerungen, die von der Schule aus oder mit Infrastruktur der Schule gemacht werden:

  • Stört die Äußerung den Schulbetrieb?
  • Verletzt die Äußerung die Pflichten des Schülers/der Schülerin?
  • Richtet sie sich gegen eine Lehrperson oder eine Mitschülerin?
  • Kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Äußerung um eine legitime Kritik handelt?
  • Ist die Äußerung öffentlich erfolgt?
  • Gibt es für die Bestrafung eine für Schülerinnen und Schüler transparente Norm?

Gerade die letzte Frage ist dabei der Knackpunkt: Viele Äußerungen in sozialen Netzwerken sind halb-öffentlich, d.h. weder komplett privat noch komplett öffentlich. Mit diesem Status tut sich die Rechtssprechung schwer.

3 Kommentare

  1. irgendeiner sagt:

    Das Amerikanische Recht ist derart verschieden vom Schweizerischen dass ein Artikel darüber für hiesige Schulen rein gar nichts bringt!

    Es gibt aber sehr wohl hiesige Rechtsprechung zur Frage, was als üble Nachrede oder Verleumdung gilt.

  2. Danke, diesen Artikel werde ich mit an die Schule nehmen. Das Problem wird an unserer Schule bereits kontrovers diskutiert. Im Moment stellt sich bei uns die Sachlage so dar: Wenn Schüler über / gegen LEHRpersonen verbal ausfällig werden, wird das selbstverständlich geahndet.
    Bei Äußerungen von Schülern gegen Schüler herrscht teilweise die Meinung, das sei Privatsache – Lehrer sind angewiesen, Äußerungen auf sozialen Netzwerken zu ignorieren, da das einen Eingriff in die Privatsphäre der Schüler darstelle.
    Beispiel:
    Selbstverständlich dürfen unsere 15jährigen auf dem Schulgelände nicht rauchen, wenn doch, wird es geahndet. Wenn wir sie jedoch nachmittags zufällig am Einkaufszentrum rauchen sehen, geht uns das schlicht nichts an und wir sind nicht weisungsbefugt gegenüber ihnen: es ist Privatsache.
    Beleidigt, mobbt, erpresst, drangsaliert ein Schüler einen anderen in der Schule, auf dem Schulgelände oder auf dem Schulweg, wird das geahndet – pädagogisch oder, wenn das nicht greift, juristisch.
    Außerhalb der Schulzeiten und der Örtlichkeiten ist das nicht unser Problem – da sind die Eltern in der Pflicht, ihrerseits pädagogische oder juristische Maßnahmen zu ergreifen.
    Das Problem dabei ist, dass gerade mobbing, Bedrohungen und Erpressungen im net MASSIV Einfluss auf das Schulleben nehmen können (und so den Schulbetrieb „von fern“ stören), da in der Schule (zum Teil NUR dort) Opfer und Täter im real life vereint sind und erstere erheblich unter Druck stehen, Schulängste entwickeln, Verhaltensauffälligkeiten zeigen…
    Offiziell haben wir Lehrer uns nicht in denselben Netzwerken wie unsere Schüler zu bewegen, dürfen von nichts wissen. (Ich habe einmal eine Rüge erhalten, weil ich eine im net öffentliche Kommentarfolge ausgedruckt mit in die Schule brachte, nur um zu zeigen, was sich zwischen bestimmten Schülern virtuell so abspielt). Folglich wird das Schülerverhalten auch nicht geahndet – lediglich die Eltern von Opfern und Tätern werden dahin beraten, die internetnutzung ihres Kindes zu überwachen 🙂 und selbst wie immer geartete Maßnahmen zu ergreifen.
    Das deckt sich im übrigen mit der ersten Aussage von Wieczorek (es muss ein personell-örtlicher Zusammenhang zur Schule bestehen), nicht aber mit der Checkliste am Ende Ihres Artikels, in der alle Fragen mit „Ja“ beantwortet werden könnten bis auf die letzte…: die transparente Norm bei uns heißt bis jetzt „keine Bestrafung, denn das geht uns nichts an“.

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