Ein positives Leitbild für Netzpolitik – oder: Stadt- und Landleben

Das ist der fünfte Teil von Gedanken zu meinem geplanten Re:Publica-Workshop. (Er wurde leider nicht berücksichtigt.) 

In den letzten Beiträgen habe ich gezeigt, wie verzerrte Darstellungen der Chancen und Gefahren von Internetkommunikation Barrieren errichten, welche viele Menschen daran hindern, digitale Werkzeuge so zu nutzen, dass sie ihnen nützen. Diese Kritik soll ergänzt werden durch ein positives Programm. Das es – zumindest als Skizze – schon besteht, reicht es, an dieser Stelle darauf zu verweisen: In seinem »Code for Germany« legt Christoph Kappes ein Fundament zu einem Leitbild. Es zeichnet sich durch vier Eigenschaften aus, die mir wichtig scheinen (ich paraphrasiere Kappes):

  1. es befasst sich weniger mit dem Internet als mit dem, was Computer tun und wir mit Computern tun
  2. es richtete sich weniger auf rechtliche Fragen, sondern fragt, wie sich Wissen und Kultur durch den Einsatz von digitaler Hilfsmitteln ändern
  3. es hat mehr mit Software zu tun, »als dem prägenden Werkzeug unserer Zeit (das keineswegs nur kopiert, wie der Urheberrechtsstreit immer suggeriert, sondern das Information messbar, vergleichbar, ermittelbar und anderes steuerbar macht und dadurch Neues erzeugt, nämlich das Gegenteil von Kopie: Unterscheidbares)«
  4. es zeigt den Charakter der digitalen Wissensnutzung auf, die ein Gemeingut ist, das nicht übernutzt werden kann, weil Kopien die Nutzung nicht verändern oder verschlechtern.

Kappes‘ Fazit:

So gesehen sollte eigentlich im Zentrum von internet-veranlasster Politik nicht „das Netz“, sondern die Entwicklung von Wissen, Software und Kultur stehen, die von jedermann nutzbar sind:

  • von Schulbüchern und wissenschaftlichen Beiträgen für jedermann,
  • Software für Nachbarn, die untereinander Hilfe anbieten und tauschen möchten,
  • Komponenten für verteilte soziale Netzwerke und Standards für den Datenaustausch zwischen Diensten bis hin zu
  • neuen digital basierten Prozesses für Politik und Medien – wir müssen schnell Ordnung und Überblick in die Welt bringen, die täglich komplexer wird, und
  • kulturellen Techniken, die durch digitale Informationsverarbeitung verändert werden, namentlich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit in losen Gruppen oder auch digitales Rechte-Handling einschließlich verständlicherer rechtlicher Regelungen für Commons.

Politik – so sollte man sich in Erinnerung rufen – bedeutet die Organisation des sozialen Miteinanders. Netzpolitik befasst sich damit, wie Menschen digitale Werkzeuge einsetzen. Was in der professionellen Politik beredet und beschlossen wird, beeinflusst das Leben vieler Menschen nicht. Ein netzpolitisches Programm könnte ganz einfach darin bestehen, Werkzeuge zu schaffen, die Menschen helfen, ihren Alltag zu bewältigen. »Ich stelle mir das Alter mit Internet viel schöner vor als ohne«, war kürzlich im Internet zu lesen. Gute Netzpolitik führt zu schönerem Leben, indem sie Menschen dabei hilft, tolle Dinge nicht nur im Internet, sondern auch außerhalb auf die Beine zu stellen.

An Kappes Forderung lässt sich das Fazit des ausgezeichneten Textes von Kathrin Passig anschließen, in dem sie überzeugend zeigt, dass die Linien der kritischen Diskussion über soziale Medien und das Internet denen der Diskussion über das Leben in der Stadt entsprechen: In Städten (=im Internet) leben geschwätzige Fremde miteinander und setzen sich unbeschreiblichen Gefahren aus, während auf dam Land (= im richtigen Leben) die echten Menschen wohnen: Bescheiden, wortkarg und beschützt von allen Übeln. Passig schließt mit folgenden Absätzen:

Natürlich ist die öffentliche Kommunikation mit Unbekannten im Netz nicht per se die bessere Lösung, so wenig wie das Stadtleben besser als das Landleben ist, insbesondere, seit man einige Annehmlichkeiten der Zivilisation überall erhalten kann: Filme in Originalversionen, homosexuelle Bürgermeister, manchmal sogar O2-Handyempfang. Auch wer ein Blog betreibt oder Twitter nutzt, sehnt sich manchmal nach Waldeinsamkeit, nach weniger widerspruchsfreudigen Gesprächspartnern oder gleich nach der Abschaffung aller Kommentarfunktionen. Dieses Hadern ist unumgänglich, auch in der Stadt ist die Koexistenz der verschiedenen Lebensweisen nicht einfach, und ihre Bewohner schwanken zwischen den Wünschen nach Abgrenzung und Integration.

Aber in der Stadtforschung gibt es seit über hundert Jahren eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Strukturen der Verständigung unter Fremden. Es wäre schön, wenn die Diskussion um die Kommunikation im Netz nicht noch einmal hundert Jahre bräuchte, um an diesem Punkt anzukommen.

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4 Kommentare

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