Rezension: Stephan Porombka – Schreiben unter Strom

Viele der Bücher, die Social Media thematisieren, wählen einen kritischen oder pädagogischen Zugang, in dem es hauptsächlich um die Bedeutung des Medienwandels gibt. Stephan Porombkas Schreiben unter Strom zeigt die Möglichkeiten auf, die entstehen, wenn man kreatives, literarisches Schreiben mit der Kraft digitaler Kommunikation ausstattet:

Wer unter Strom schreibt, schließt automatisch alle Möglichkeiten ein und bringt sie ins Spiel, um sie immer wieder mit etwas anderem zu kombinieren und dadurch neue Impulse zu bekommen und sie gleichzeitig an andere weiterzugeben. (153f.)

Das Buch ist auf zwei Arten bemerkenswert: Es ist bis auf eine kurze Einleitung fast nur eine kurze Darstellung konkreter Schreibaufgaben und Projektarbeiten, in der die spezifische Charakteristik des Schreibens in sozialen Netzwerken aber klar präsentiert wird. Und es ist so klug und gleichzeitig stilistisch eingängig geschrieben, dass man sich nicht wundert, dass der Spiegel Porombka zu den besten Professoren Deutschlands zählt.

In der Einleitung hält Porombka fest, dass es angesichts einer Entwicklung, in der Konzentration durch Ablenkung ersetzt wird, nur die Verweigerung oder die Zweckentfremdung gibt: »Die User sollten mit den Geräten etwas tun, wofür diese auf den ersten Blick gar nicht vorgesehen sind« (10). Es ist klar, welche Variante für kreative Schreibprozesse interessanter ist:

Mit dem Experimentieren beginnen! Hands on! Auch auf die Gefahr hin, dass man alles Bekannte über den Haufen werfen muss und dabei in Zustände gerät, in denen die alten Orientierungsmuster für Kunst uns Leben abhandenkommen, ohne durch neue ersetzt zu werden. Auch das kann man lernen, wenn man unter Strom schreibt: dass sich das Auflösen der bekannten Zusammenhänge für produktive Schübe nutzen lässt. (13)

Die konkreten Aufgaben sind dann in Grundlagen – Nächste Schritte und Radikalisierungen gegliedert. Dort werden konkrete literarische Verfahren beschrieben, die unter Zuhilfenahme von bestimmten Tools literarische Texte hervorbringen können. Ihre Darstellung basiert auf einer Beschreibung von Goethes Werkstatt. Porombka interpretiert Goethes Bestrebungen, »in […] Räumen Menschen, Gegenstände, Reflexionen, Kommunikationen und Schreihandlungen so [zu organisieren], dass sie sich gegenseitig intensivieren«, als die Schreibwerkstatt, die heute Computer heißt:

Der Computer ist die Maschine, in der wir unsere Aktivitäten immer dichter vernetzen. Dieses fein gesponnene Netz ist unsere Werkstatt. Unser Atelier. Unser Labor, in dem wir mit Materialien experimentieren. Es ist der Ort, an dem wir die Welt für uns herstellen. Und mit der Welt gleichzeitig uns selbst. (19)

In den folgenden Abschnitten werden grundlegende Verfahren wie Remix und algorithmische Kunstproduktion beschrieben, aber immer auch die nötigen Netzwerke wie Twitter oder Hypertexte für Laien anschaulich erklärt. Die einzelnen Schreibaufgaben möchte ich hier nicht detailliert aufzählen – wer sich dafür interessiert, sollte das Buch unbedingt anschaffen: Es eignet sich hervorragend für Schreibkurse und für den Einsatz auf dem Gymnasium, weil es immer auch Links zu analogen Formen der Literaturproduktion schafft (z.B. könnte es gut als Begleitprojekt zu einer Werther- oder Kafka-Lektüre genutzt werden, da gibt es jeweils passende Kapitel).

Die Radikalisierung des Schreibens unter Strom führt den Autor dazu, vier Eigenschaften festzuhalten, mit denen solche kreativen Prozesse beschrieben werden können (121):

  1. Das Schreiben unter Strom ist ein kommunikatives Schreiben. Der Autor ist immer Sender und Empfänger zugleich. 
  2. Das Schreiben unter Strom ist nicht auf ein abgeschlossenes Werk angelegt.
  3. Das Schreiben unter Strom findet im jetzt statt. D.h. es »wird dauernd gefragt, was als Nächstes passiert.«
  4. »Schreiben unter Strom heißt, die Frage nach dem Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fiktion zurückzustellen.«

Diese Liste zeigt, dass Porombka nicht Experimente beschreibt, welche Hobbyschriftstellerinnen und -schriftsteller für Fingerübungen brauchen können, sondern sich Gedanken macht, was literarisch »als Nächstes passiert«. Er beschreibt ausführlich, wie lineares Erzählen erschwert wird und Erwartungen an Produkte und Prozesse in der Literaturproduktion unterlaufen werden. Virtuelle und reale Welt »verschalten« sich (150), Materialien werden »kombiniert, bearbeitet, varriiert, weiterentwickelt und wieder eingespeist« – »eine[] belende[] Form von Produktivität« (150).

»Locker bleiben!«, gibt Prombka als Devise mit (153). Diese Lockerheit führt dazu, dass man sich auf die Zufälligkeit und Flüchtigkeit einlässt, die das Internet auszeichnen, sich davon anstecken lässt und sich bewusst wird, dass man bald wieder was anderes tun wird. Dann steht man vielleicht auch auf und schreibt ohne Computer weiter.