»Building Thinking Classrooms« ist ein Buch von Peter Liljedahl. Der kanadische Mathematikdidaktiker geht von der Einsicht aus, dass Schüler*innen in der Schule oft Verhaltensweisen zeigen, die weder denken noch lernen sind. Sein Ziel ist, Unterrichtsformen zu finden, in denen Schüler*innen möglichst intensiv denken können. Genauer formuliert er es so:
The goal is to get more of your students thinking, and thinking for longer periods of time, within the context of curriculum, which leads to longer and deeper learning.
buildingthinkingclassrooms.com/14-practices/

In seinem Buch entwickelt er 14 Handlungsempfehlungen (»practices«), die recht direkt umgesetzt werden können. Sie beziehen sich zwar auf den Mathematikunterricht, enthalten aber Einsichten, die sich durchaus verallgemeinern lassen. Die Sketchnote von Laura Wheeler zeigt alle Empfehlungen, ich greife unten die Grundeinsichten und Methoden auf, die mich besonders beeindruckt haben.

- Aufgaben stellen, die zum Denken anregen.
Möglichst früh in einer Unterrichtseinheit sollte die Lehrperson eine Aufgabe vorstellen, die eine Denkanstrengung der Lernenden braucht. Liljedahl zitiert das Katzen/Ratten-Problem: »Wenn 6 Katzen in 6 Minuten 6 Ratten töten können, wie viele Katzen braucht man, um in 50 Minuten 100 Raten töten zu können?«
Gute Aufgaben haben drei Eigenschaften:
a) Sie sind reichhaltig, erfordern unterschiedliche Kompetenzen und Methoden aus dem Fachgebiet. Sie können aber nicht auf einem direkten Weg gelöst werden.
b) Sie sind »engaging«: Wer die Aufgaben hört, möchte gerne eine Lösung finden.
c) Sie erfordern oft die Aktivierung von Kenntnissen und Verfahren, die nicht im Lehrplan enthalten sind.
Liljedahl empfiehlt, zur Etablierung einer Denkkultur Aufgaben außerhalb des Lehrplans zu verwenden. Kann eine Klasse sich Problemen so annehmen, wie das erwartet wird, können die Aufgaben Lehrbüchern entnommen werden und sich auf die Kompetenzen richten, die im Lehrplan stehen.
Aufgaben sollten gestellt werden, während sich die Schüler*innen lose um eine Lehrperson gruppieren (sie sitzen nicht an ihren Tischen). Die Lehrperson stellt die Aufgabe mündlich und entwickelt sie an der Wandtafel. - In zufälligen Gruppen arbeiten lassen.
Schüler*innen denken am besten in Gruppen, in denen sie immer wieder neue Rollen einnehmen können. Dazu muss zunächst das Unterrichtszimmer »defronted« werden – die Ausrichtung der Schüler*innen ist keine gemeinsame, sie erwarten nicht von der Lehrperson, Lösungen zu präsentieren, sondern sie entwickeln diese in der Zusammenarbeit mit anderen Lernenden. Das geschieht am besten in zufällig zusammengestellten Gruppen. - »Keep Thinking«.
Die Interaktion mit der Lehrperson und mit anderen Gruppen ist so ausgerichtet, dass Schüler*innen möglichst intensiv weiterdenken können. Fragen, die Denkwege abkürzen, beantwortet die Lehrperson selten; solche, die das Denken weiterführen hingegen oft. - Wie Schüler*innen Erkenntnisse aufschreiben.
Liljedahl empfiehlt zwei Schreibformen:
Erstens sollen in Gruppenarbeiten vertikale Flächen so beschrieben werden, dass das Geschriebene leicht korrigiert werden kann (also z.B. Whiteboards oder Wandtafeln).
Zweitens sollten Schüler*innen Notizen anlegen, von denen sie denken, dass sie ihnen später weiterhelfen. Dazu sollte in den Stunden Zeit zur Verfügung stehen, Notizen sollten aber nicht schematisch und als Routine angelegt werden, sondern bewusst. - Basis von unten sichern, nicht Lösungen von oben anbieten.
Geht es darum, Ergebnisse der Denkprozesse zu sichern, bietet das TC-Konzept zwei fundamentale Einsichten an:
Erstens sollten Lehrpersonen möglichst viel Zeit darauf verwenden, grundlegende Einsichten allen noch einmal zugänglich zu machen. So bleiben alle Schüler*innen engagiert. Die schwierigsten Teile der Erkenntnisse sollten nur kurz berührt werden – weil sie für viele Schüler*innen so schwierig sind, dass sie beim Denken abhängen.
Zweitens sollte die Ergebnissicherung von den Arbeiten der Gruppen ausgehen. »Kann jemand aus einer anderen Gruppe erklären, was die Gruppe hier überlegt hat?« ist beim so genannten »Gallery Walk«, also bei der Durchsicht der Gruppenergebnisse, eine sehr produktive Frage. Das Denken wird befördert, indem sich alle in das eindenken, was für alle aufschlussreich und nachvollziehbar ist. - Hausaufgaben als »check your understanding«.
Hausaufgaben dienen dazu, dass Lernende überprüfen können, ob sie verstanden haben, worum es geht. Hausaufgaben werden weder kontrolliert noch bewertet – sie sind eine Gelegenheit für Schüler*innen, weiter zu denken und zu lernen. In den Stunden kann diskutiert werden, welche dieser Aufgaben für alle sinnvoll wären; es gibt aber keinen Zwang zu diesen Hausaufgaben. - Die Flow-Idee
Grundlegende Aufgaben müssen asynchron entweder durch Hinweise gestützt werden (um Frustration zu vermeiden) oder durch Erweiterungen erschwert werden (um Langeweile zu vermeiden).

Die Ziele in Liljedahls Buch sind die Ziele meines Unterrichts. Seine Haltung in Bezug auf Mathedidaktik entspricht meiner Kritik an der problematischen Aufgaben- und Stoffkultur. Gleichwohl ist das Konzept viel konsequenter als die Lernumgebungen, die ich schaffe. Besonders die Arbeit in Gruppen und die Dezentralisierung kann ich deutlich optimieren – und werde das im nächsten Schuljahr auch machen. Die Anleitung im Buch ist sehr hilfreich: Ich müsste für den ersten Schritt die Schreibunterlagen für Gruppen organisieren. Beim zweiten Schritt müsste ich die Ausrichtung des Klassenzimmers bewusst ändern.

Hey! Ich finde den Artikel sehr aufschlussreich und er fasst wichtige Punkte gut zusammen. Als jemand, der das Konzept in seinen ersten drei + 3-4 weiteren Schritten seit 6-7 Wochen konsequent umsetzt, möchte ich die Wichtigkeit der vertikalen abwischbaren Oberflächen, auf denen gearbeitet wird, noch stärker herausstellen. Diese sind ein unumgänglicher Teil des Konzepts, da durch Arbeit bspw an horizontalen Oberflächen, wie einem DINA3 Bogen oÄ die es eine Anonymität gibt, die dazu führt, dass sehr leicht Arbeit vermieden werden kann. Hier gibt es meist einen, die/der denkt und einen die/der aufschreibt und alle 5 Minuten kommt der LehrerIn vorbei und in dem Moment tuen alle so, als würden sie arbeiten. Die Sitzposition tut ihren Rest dazu und schon kommt man von arbeiten in ein schnelles und möglichst denkarmes „abarbeiten“ eines Arbeitsauftrages.
Meine „Kritik“ basiert auf dem Lesen des kompletten Buches und der Expertise aus ca 20 gehaltenen UStunden nach dem Konzept.
Danke sehr. Ich bereite gerade eine Einheit dazu vor und sehe die vertikalen Flächen als absolutes Muss an.