»Normal Gossip« ist einer der erfolgreichsten Podcasts in den USA. Die Formel ist einfach: Kelsey McKinney erzählt einem Gast eine Geschichte, die ihr zugetragen worden ist. Dabei geht es um Menschen in Alltagssituationen, die irritierende Dinge tun – der Stoff für Klatsch, Tratsch, Gerüchte. Nur werden die ganz öffentlich, dafür stark anonymisiert erzählt. In diesem Sinne quasi doppelt normalisiert.
Die Faszination des Podcasts hängt für mich mit der Faszination für Klatsch zusammen. Zu erfahren, wie seltsam echte Menschen sich verhalten, wie krass sie gegen Normen verstoßen haben, macht eine Geschichte fesselnd. Wir erhalten Bestätigung für unser Leben und Stoff, den wir wiederum weitererzählen können.
»Gossip« bezieht sich als Wort sowohl auf den Stoff als auch auf Personen: Wer gerne Klatsch erzählt, ist »a gossip«, was die Person erzählt, ist »gossip«. Dabei ist Klatsch eine verzerrte Übersetzung, »gossip« umfasst von Gerüchten bis zu sachlichen Beschreibungen alles. Cruz et al. definieren »gossip« als eine Kommunikationssituation, in der Menschen erwähnt werden, die kommunikativ ausgeschlossen werden. Die Situation kann – wie unten dargestellt – formell oder informell sein, die Bewertung der Erzählten kann positiv oder negativ ausfallen.

McKinney diskutiert zu Beginn der Folgen immer, wie ihre Gäste »gossip« sozialpolitisch einordnen. Dabei sehen viele Klatsch so, dass er eine Art Widerstand gegen unterdrückende Machtverhältnisse darstellt: Sobald es an einem Arbeitsplatz starke Hierarchien gibt, ist Gossip ein Weg, um das zu verarbeiten. Hinter dem Rücken der bösartigen Chefin erzählen Mitarbeiter*innen, mit wem sie ein Verhältnis haben könnte und wie unmöglich sie sich auf der Weihnachtsfeier benommen hat.
Klatsch als Widerstand ist die eine wichtige Funktion, Klatsch als Gespräch über sich wandelnde Normen die andere. Das erklärt, weshalb gerade Teenager so fasziniert von Klatschgeschichten sind. Sie helfen ihnen, gesellschaftliche Normen und verstehen und zu entwickeln, gerade auch für Situationen, die für sie neu sind und die ihre Eltern nicht kennen.
Wenn es nun an Schulen und Lehrpersonen viel Klatsch gibt, bedeutet das entweder, dass sich Normen wandeln (z.B. weil neue Rollenbilder aufkommen, sich die Zusammensetzung einer Schule verändert etc.). Oder es bedeutet, dass die Schule hierarchische Machtverhältnisse kennt, in denen Gossip ein Teil des Widerstands ist. Schulführung sollte Klatsch vermeiden: Gute Schulkommunikation ist so transparent, dass es kein Bedürfnis gibt, hinter dem Rücken von Betroffenen zu kommunizieren. Sie kann aber nicht verhindern, dass bei sich wandelnden Normen Auseinandersetzungen auf diesem Weg erfolgen.
Norbert Elias hat in „Etablierte und Außenseiter“ als Funktion von Klatsch noch „Zusammenhalt“ und „Soziale Kontrolle“ genannt. Das fand ich damals ganz spannend zu lesen (über 25 Jahre her). Da würde dann ein gewisses Spannungsverhältnis zu dem oben Geschriebenen ergeben.