Was KI verändert: Das Problem der Schriftlichkeit in der Bildung

Seit Jahren gibt es eine Publikationskrise in den akademischen Berufen. Knapp zusammengefasst besteht die Krise darin, dass Wissenschaftler*innen daran gemessen werden, wie viel sie publizieren, in welchen Zeitschriften sie ihre Texte unterbringen und wie oft ihre Texte zitiert werden. Das führt zu Fehlanreizen und Fehleinschätzungen: Um zu publizieren müssen Forscher*innen ihre Forschungstätigkeit, ihre Lehre, ihre Zusammenarbeit im Team zurückstellen – und diese elementaren Aufgaben werden bei der Evaluation kaum berücksichtigt. Die Krise wird von Verlagen ausgenutzt, die Zugänge zu Zeitschriften verkaufen und teilweise ohne Qualitätskontrolle unseriöse Texte publizieren.

Da KI-Tools enorm effizient Texte generieren können (besonders solche, die einem Muster folgen), können Wissenschaftler*innen mit diesen Programmen viel schneller Texte publizieren, die ihren früheren Texten gleichen. So wird sich diese Publikationskrise verschärfen, weil immer schneller immer mehr Texte produziert werden, die kaum gelesen werden.

Sie ist Ausdruck eines viel größeren Problems: Ein Problem der Schriftlichkeit in der Bildung. Grundsätzlich geht es darum, festzustellen, ob eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler gute Arbeit leisten. Weil das nicht direkt gemessen werden kann (weil es ganz unterschiedliche Formen von Forschung und wissenschaftlicher Arbeit gibt), ist eine Norm entstanden, die Forschungsleistung an Schriftlichkeit koppelt.

Dasselbe passiert an Schulen und Hochschulen auch mit Lernenden: Weil wir nicht direkt feststellen können, ob ein Kompetenzzuwachs erfolgt ist, erfolgen Leistungsmessungen über schriftliche Lernprodukte. Wenn diese aber mit einer KI künstlich oder halb-künstlich entstehen, verliert diese Messung ihren Sinn.

Das hat nicht nur Konsequenzen für die Prüfungskultur, sondern auch für die Zeitverteilung: Schriftlichkeit ist oft ein Weg, um eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Thema ohne Betreuungsmöglichkeit zu erzwingen. Eine Hausarbeit oder eine Hausaufgabe fordert Lernende auf, außerhalb der Zeit im Klassenzimmer Lernzeit in eine Aufgabe zu investieren (und Feedback von Lehrenden zu erhalten, welche diese oft auch außerhalb ihrer Präsenzzeit erbringen müssen). Das führt dazu, dass Lernleistungen über schriftliche Texte erbracht werden, die didaktisch sinnvoller auf einem anderen Weg erfolgen würde. Das klassische Beispiel sind Fremdsprachen, die oft in Gesprächssituationen gelernt werden sollten, aber primär schriftlich unterrichtet werden, weil es anders in der verfügbaren Zeit nicht geht. Auch Studierende könnten auf Tagungen unterschiedliche Perspektiven auf Fachprobleme direkt wahrnehmen, die sie bei Hausarbeiten über eine oft rudimentäre Lektüre von Fachaufsätzen rekonstruieren.

Damit ist nicht gesagt, dass Texte nicht eine wichtige Funktion haben: Sie helfen Lernenden, das eigene Denken zu strukturieren und verbalisieren; sie sind oft wirksame Kommunikationsmittel. Aber Texte verfassen sollte einen Wert in sich haben, nicht ein Ausweg sein, um Leistungsmessung zu ermöglichen oder Lernzeit zu erzwingen.

KI-Tools werden hier eine Herausforderung bringen. Es ist zu wünschen, dass der Umgang damit zu echten Lösungen führt. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass die nötigen Ressourcen im System nicht zur Verfügung stehen, so dass Alternativen gesucht werden, die ganz ähnliche Probleme aufwerfen wie schriftliche Texte.

»a large collection of written texts at a university«, Midjourney

7 Kommentare

  1. phb sagt:

    Sehr guter Text und mein Dank an dich … reblogged! Yours Peter H Bloecker

  2. G. Meierhofer sagt:

    @Jeremy Schmidt: Die deutsche Sprache ist eine plurizentrische Sprache. In der schweizerischen Varietät gilt die von Ihnen rein normativ als „stilistisch […] fraglich“ taxierte Form, einen Nebensatz mit dem Relativpronomen „welcher“/“welche“/“welches“ einzuleiten, als unproblematisch und üblich. Und bBei Lichte betrachtet gibt es für die gegenteilige Ansicht auch keine vernünftigen Gründe. Ich hoffe, ich konnte Ihnen damit gewisse Ihnen zuvor unbekannte Eigenheiten der deutschen Sprache näher bringen und wünsche gutes Gelingen beim weiteren Entdecken derselbigen.

    1. Jeremy Schmidt sagt:

      Nicht wirklich aber netter Versuch. Unbekannte Eigenheit, meine Treue.

  3. Spannend aber wie kann jemand Deutschlehrer sein & einen Text verfassen mit falscher Grammatik? Schon etwas peinlich.

    1. Sandro sagt:

      Bin Deutschlehrer… was meinst du?

      1. Jeremy Schmidt sagt:

        Wissenschaftler*innen, Forscher*innen etc. ist idiotisch – akustisch, aber auch in schriftlicher Form ist es grammatikalisch falsch. Korrekt ist, Wissenschaftler (der/die), Forscher (der/die) zudem ist das Wort „welche“ zwar grammatikalisch richtig, stilistisch aber fraglich, besser ist:“ ..Feedback von Lehrern zu erhalten, DIE diese oft auch außerhalb ihrer Präsenzzeit erbringen müssen..“. Fazit, Note ungenügend, lieber Herr «Deutschlehrer».

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