Warum Smartphones wie Ketchup sind – die Wohlfühl-Theorie

Malcolm Gladwell hat vor Jahren eine Ketchup-Theorie entwickelt:

Kinder im Alter von zwei oder drei Jahren neigen dazu, neue Geschmäcker abzulehnen. Aus evolutionsgeschichtlicher Sicht ist dieses Verhalten durchaus sinnvoll, denn in der Frühgeschichte der Menschheit begannen Kinder in diesem Alter damit, selbst Essen zu sammeln; wer sich nicht an das Bekannte und Vertraute hielt, hätte wohl nicht überlebt. Unser Dreijähriger hatte vermutlich etwas Verdächtiges auf dem Teller – vielleicht Thunfisch oder Rosenkohl –, und er wollte das Fremde vertraut machen, indem er seinen Geschmack unterdrückte. Also griff er nach dem Ketchup, denn von allen Würzsoßen ist nur dieser in der Lage, süß, sauer, salzig, bitter und umami zu liefern, alles auf einmal.

Zitiert nach »Was der Hund sah«, Campus 2009

»Das Fremde vertraut machen« – das ist das, was Ketchup auf dem Teller eines Kindes leistet. Dasselbe machen Smartphones: im öffentlichen Verkehr, in der Schule, in seltsamen sozialen Situationen. Menschen begegnen Fremden, sind unsicher oder emotional aus dem Gleichgewicht: Ihre Smartphones funktionieren wie Ketchup. Sie schaffen einen berechenbaren, bekannten Raum. TikTok-Swipen, ein mobiles Spiel, ein WhatsApp-Chat – das reduziert die Fremdheit und unterdrückt den »Geschmack« der Umgebung.

Diese Sichtweise kann erklären, weshalb viele Menschen unwillkürlich zum Smartphone greifen. Andere wahrzunehmen und auf sie einzugehen, ist auch eine Belastung, nicht immer eine Bereicherung. Sich mit vielen anderen Menschen zusammen irgendwo aufzuhalten, kann eine Überforderung sein – genau so wie ein Essen, das ein Kind nicht kennt und nicht mag.

Illustration: Dall-E 2

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