Gibt es das »Twitterlehrerzimmer« überhaupt?

Vor drei Jahren habe ich das Phänomen »Twitterlehrerzimmer« ausführlich diskutiert und analysiert, auch mit Daten (die heute natürlich veraltet sind). Damals habe ich geschrieben:

[Twitterlehrerzimmer meint] alle Gespräche, die auf Twitter unter Lehrerinnen und Lehrern verlaufen […]

Die engere Bedeutung bezieht sich auf einen Hashtag: #twitterlehrerzimmer ist ein Schlagwort, das verwendet wird, um eine spezifische Form von Sichtbarkeit zu erzeugen, einen Tweet all denen zur Lektüre anzubieten, die den Hashtag verwenden.

Das Twitterlehrerzimmer – eine Kritik

Da aktuell wieder Untersuchungen zum »Twitterlehrerzimmer« präsentiert werden, möchte ich kurz darüber nachdenken, ob es das überhaupt gibt.

Der Austausch unter Lehrkräften einer Schule findet teilweise in einem Lehrer*innenzimmer statt. Wer die Stimmung in einem Kollegium beurteilen will, mitbekommen will, was Lehrer*innen einer Schule bewegt etc., kann sich im Lehrer*innenzimmer einen Eindruck verschaffen. Dort findet ein Austausch statt, der in der Regel repräsentativ für Gespräche unter Lehrpersonen an einer Schule ist.

Die mit der Formulierung »Twitterlehrerzimmer« verbundene Vorstellung wäre, dass es auch auf Twitter einen Zugang zu einem Austausch gibt, der repräsentativ für Online-Diskussionen unter Lehrenden ist. Damit sind zwei Missverständnisse verbunden:

  1. Gespräche auf Twitter zerfallen in ganz unterschiedliche Diskurse, in denen unterschiedliche Netzwerke mit unterschiedlichen Zielen unterschiedliche Themen besprechen. Es gibt keinen strukturierten (Macht-)Raum, der »Twitterlehrerzimmer« heißen könnte, keine Kaffeemaschine und keine Adressliste. Es gibt viele digitale Nischen, in denen sich Lehrende austauschen.
  2. Die Hashtags #twitterlehrerzimmer oder #twlz verweisen auf bewusst mit diesem Schlagwort versehene Beiträge. Wer diese Hashtags untersucht, untersucht, wie sie eingesetzt werden. Das kann aufschlussreich sein – bedeutet aber nicht, dass sich daraus direkt Rückschlüsse auf relevante Aspekte digitaler pädagogischer Diskurse gezogen werden können. Vielmehr lässt sich daran wohl eine spezifische Nische festmachen, zu deren Praxis die Verwendung des Hashtags gehört.

In der aktuellen Ausgabe von On hat Stephanie Wössner die Vermischung von Absichten und Diskursen auf Twitter wie folgt kommentiert:

Das Spektrum derer, die dort unter ihrem Klarnamen oder einem Pseudonym schreiben, ist groß: Es reicht von den Idealisten, die alles im Kontext der gesellschaftlichen Veränderungen und der Zukunft betrachten, und den Praktikerinnen und Praktikern, die basierend auf ihren Erfahrungen
das Lernen zum Wohl der Gesellschaft transformieren wollen, bis hin zu selbst ernannten Philosophen und Pseudo-Praktikern. Diese sind mitunter nicht weit davon entfernt, Lehrkräften jede Kompetenz abzusprechen, und entfachen Diskussionen in einem Schwarz-Weiß-Stil, in denen sich meist (zu Unrecht) die transformationswilligen Praktizierenden angesprochen fühlen. Dazwischen befinden sich: Mitglieder der Moodle-Fraktion; Lehrkräfte, die durch den Einsatz digitaler Endgeräte oder Tools ihren „Unterricht“ verbessern wollen, aber das System Schule per se nicht kritisch hinterfragen; Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die (immer noch) mit Studien erforschen wollen, ob es sich wirklich lohne, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, und solche, die den aktuellen Stand der Bildung erforschen, selten jedoch außerhalb der Grenzen des aktuellen Bildungssystems denken; Selbstdarsteller, die sich als Bildungsinfluencer sehen, und solche, die ggf. gern auch politisch einflussreich wären […]

Bildung auf dem schwierigen Weg in die Zukunft

Löst man die für mich etwas irritierende Wertung von dieser Passage, dann zeigt sich, dass unterschiedliche Menschen Kommunikation mit unterschiedlichen Absichten und Wirkung betreiben.

Ich habe das schon »parallele Diskurse« genannt, die sich auf Twitter teilweise überschneiden und überlagern – sogar auch in einer Person: Ich führe auf Twitter meine Texte einem Publikum zu, sammle Ideen für meinen Unterricht, teile Materialien, diskutiere meine bildungspolitische Meinung, mache Scherze etc. Nicht immer mit denselben Personen, nicht immer in denselben Nischen.

Es wäre also ein Missverständnis zu meinen, es gebe einen digitalen Diskursraum, der sich »Twitterlehrerzimmer« nimmt. Es gibt unterschiedliche Diskurse, die sich alle auch digital manifestieren – aber an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Netzwerken. Wer sich einseitig auf einen Hashtag wie #twitterlehrerzimmer fokussiert, übersieht das oft.

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