Lernen ist ein Nebeneffekt von Noten & Prüfungen

Die Pandemie war und ist ein »Brennglas« für die Schule. Sie zeigt, wie Schule funktioniert, was sich entwickeln lässt – und was nicht.

Für mich wurde in den letzten Monaten deutlich, dass Prüfungskultur und Notengebung nicht ein notwendiges Übel oder eine Art Nebeneffekt der Schulorganisation darstellen, die durch eine Reflexion oder eine Evolution der Schulkultur verschwinden könnten.

Prüfungen sind der Kern der Schule. Die Covid-Krise hat gezeigt, das Akteur*innen im Schulbereich bereit sind, auf alles zu verzichten – nur nicht auf Präsenz und Prüfungen. Anders formuliert: Lernen ist ein Nebeneffekt in dieser Prüfungskultur. Zuerst kommt die Bewertung, dann die Frage, was und ob Schüler*innen so gut lernen können.

Das müsste sich ändern, ist aber schwierig. Zu stark geistert die Vorstellung herum, Prüfungen würden Leistung messen und Kinder einem sinnvollen Druck aussetzen, dem sie sich in einer kapitalistischen Gesellschaft ohnehin einmal stellen müssen. Zudem sind rund um Prüfungen Parabildungsangebote entstanden – von Nachhilfeakademien über Youtube-Kanäle bis zu Eltern, die sich weiterbilden und Zeit dafür freihalten –, die davon abhängen, dass an Schulen mit Prüfungen bewertet und selektioniert wird. Wer so davon profitiert, dass Schulen so aufgestellt sind, will keine Veränderung.

Was ergibt sich für mich daraus? Ich will vermehrt über Alternativen zum bestehenden System nachdenken und weniger Energie darin investieren, Schulen zu reformieren, in denen alles von Prüfungen und Notengebung abhängt. Und ich werde nichts tun, was die Vorstellung erhält und bestärkt, Prüfungen würden Lernen ermöglichen und Leistung messen. Prüfungen gefährden Lernerfolge permanent. Und sie messen höchstens die Fähigkeit, sich einem System anzupassen. Wenn überhaupt.

man writing on paper near book on table
Bild: Unsplash, Wadi Lissa

5 Kommentare

  1. Patrick sagt:

    Das Semester neigt sich dem Ende zu und schon stehen sie wieder an, die Prüfungen die jetzt wegen Distance Learning halt voll Digital stattfinden.
    Die Situation ist frustrierend, die Schüler weil ihnen grundsätzlich Misstrauen entgegen gestellt wird und entsprechende Tools eingesetzt werden (secure browser, strafen wenn diese verlassen wird usw.) und ich, der sich als Polizist aufspielen muss obwohl dies mir total widerstrebt.
    Mir fehlen da gute Ideen um den Spagat zwischen Noten zu liefern und für Lernende sinnvolle Überprüfungen anzubieten.
    Oder anders gesagt, was tun, wenn man Noten liefern muss, dies aber nicht im klassischen Sinn „produzieren“ möchte?
    (Auf Stufe Berufsschule ist es sehr schwer Noten weg zu diskutieren, da Lehrbetriebe sich an diesen orientieren)

  2. Sie sprechen mir so sehr aus der Seele!

    1. Stefanie Arndt sagt:

      Ich bin dergleichen Meinung.
      Prüfungen hindern am lernen, weil der Fokus auf die Prüfung ausgerichtet ist. Lernende lernen was in der Prüfung, egal welche Form diese hat, verlangt wird. Dabei ist noch nicht beachtet wieviel Leid damit erzeugt wird bei den Menschen, die Angst vor Prüfungen haben. Diese werden nie genügen, obwohl sie sehr fähig sind.

  3. Marc sagt:

    Mich treiben seit Jahren diese Gedanken um, Philippe, es gibt ja sogar staatliche Schulen, die ohne Noten erfolgreich sind. „Sogar“ insofern, als dass in der Regel nicht-staatl. Schulen, meist reformpädagogisch orientiert, auf Noten verzichten, so bspw. die hier erwähnten Berliner Gemeinschaftsschulen oder der NRW-Schulversuch der Primusschulen, eine davon hier bei mir vor der Tür: „Schülerinnen und Schüler, die ab Klasse 1 ohne jede äußere Leistungsdifferenzierung in einer Schule für alle bis Klasse 10 beziehungsweise 13 in altersgemischten Gruppen lernen, kein Sitzenbleiben kennen und erst in der 9. Klasse eine Leistungsbewertung mit Ziffernnoten erhalten, verzeichnen bemerkenswerte Lernzuwächse – insbesondere, wenn sie aus eher bildungsfernen Elternhäusern kommen.“
    https://bildungsklick.de/schule/detail/langformschulen-die-wahren-talentschulen

    Alles sehr vielversprechend! Wenn wir uns aber andererseits vor Augen führen, dass die Laborschule Bielefeld seit 46 Jahren vielversprechende Erkenntnisse produziert, unter anderem erfolgreich auf Noten verzichtet, die aber nicht den Weg in die Breite finden, wie es unter anderem im Forschungsauftrag steht, dann wissen wir, dass solche Reformen nicht gewollt sind. In meiner Examensprüfung wurde ich vom Prof. emer. Klaus Klemm auf die drei Funktionen von Schule geprüft: Qualifikation, Legitimation und Selektion. Vorher war ich Idealist. Mit Lernen hat das nicht viel zu tun. VG Marc

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