10 Thesen zu Schulentwicklung und Digitalität

Aufgrund meiner Erfahrungen habe ich vor einigen Jahren die Überzeugung verloren, dass Digitalität bzw. die Digitale Transformation der Gesellschaft an Schulen quasi automatisch eine positiven Entwicklung in Gang setzt.

Ausgangspunkt meiner Gedanken ist der lesenswerte Essay von Jöran Muuß-Merholz zur Frage, ob digitale Medien an Schulen als Katalysator, Trojaner oder Verstärker wirken. Im Schlussabschnitt entwirft er vier Quadranten, in denen Schulen angesiedelt werden können. Er merkt an, dass oft implizit vom grünen Pfeil der Schulentwicklung ausgegangen wird, während der rote in der Praxis oft auch vorkommt:

Das SAMR-Modell, die Trojaner- und die Katalysator-These setzen eine Verschiebung in Richtung „neue Medien“ – in der Regel stillschweigend – mit „neue Schule“ gleich. In der oberen Grafik würde das einer Bewegung als Pfeil von unten links nach oben rechts entsprechen. Das entpuppt sich als Kurzschluss. Denn auch die alte Schule kann mit neuen Medien optimiert werden. Es zeigt sich, dass digitalen Medien sehr gut für frontale Belehrung, Vereinzelung der Lernenden, starke Strukturierung und enge Kontrolle genutzt werden können.

Jöran Muuß-Merholz, Trojaner, Katalysator oder Verstärker?

Mit dem Titel des Buches von Christo Sims könnte man von einer Disruptive Fixation sprechen. (Für den Hinweis danke ich Basti Hirsch.) Der Ethnologe beschreibt, dass Reformvorschläge, die digitale Medien in Schulen bringen sollen, oft Aspekte festigen, die eigentlich verändert werden sollen. Die Disruption lässt das System erstarren. Sims sieht zwei Gründe dafür:

  1. Problematization: Reformer*innen stellen das Schulsystem oft in einer bestimmten Hinsicht als problematisch dar.
  2. Diese Probleme betrachten sie aus einer technischen Perspektive (»rendering technical«), nehmen also das in den Blick, was sie lösen können.

Dadurch entsteht ein Tunnelblick: Schule wird nur hinsichtlich der beschriebenen Probleme und der verfügbaren technischen Lösungen betrachtet. Andere Probleme und das System gehen so vergessen – weshalb die Intervention letztlich das verstärkt, was verändert werden sollte.

Damit sind wir wieder beim Text von Jöran, der das Bild des Mobiles verwendet, um zu zeigen, dass die Veränderungen an einzelnen Elementen des Systems zu unerwarteten und unerwünschten Effekten bei anderen Teilen führen kann. (Rüdiger Fries hat auf diesen großartigen Film zu diesem Bild hingewiesen.)

Den Essay von Jöran hat Lars Mecklenburg ausführlich kommentiert: Auch seine Gedanken sind die Basis von dem, was folgt – die 10 Thesen.

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  1. Bildung im Kontext der Digitalität muss sich zwischen zwei Visionen entscheiden:
    a) einer personalisierten Bildung, bei der Menschen Aufgaben lösen, die Maschinen ihnen stellen, die adaptiv sind und sich (im besten Fall) persönlich anfühlen, es aber nicht sind (wie die Kreise auf einer Apple Watch). Ziel: Wertschöpfung, Beispiel: Duolingo.
    b) einer persönlichen Bildung, die reformpädagogisch orientiert mit digitalen Medien Beziehungen stärkt und intensiviert und den Sinn des Lernens in den Mittelpunkt stellt.
  2. Wenn Digitalität der Hebel, Katalysator, Trojaner, Verstärker etc. sein soll, dann ist sie das immer doppelt: Sie verbindet die Vision einer persönlichen Bildung mit der einer personalisierten, sie stärkt beide Vorstellungen gleichzeitig.
  3. Bildung wird zunehmend ein Markt. Die Rede von der Disruption des Bildungssystems, New Learning etc. ist geprägt von der Vision der personalisierten Bildung, die letztlich Schulen, Lehrkräfte, pädagogische Beziehungen auflöst. Anbieter auf den Bildungsmarkt machen Bildung nicht primär persönlicher (aber sie können Hilfsmittel bereitstellen, die im Rahmen einer persönlichen Bildung genutzt werden können). Privatwirtschaftliche Initiativen führen oft zu »disruptive fixation«.
  4. Die Vorstellung, aus der alten Schule müsste eine digitale Schule werden, um zu einer neuen Schule zu werden, lässt sich in der Praxis nicht beobachten. Schulen müssen zuerst zu Organisationen werden, die sich wandeln können – um dann eine Entwicklung hin zu einer neuen Schule einleiten zu können.
  5. Deshalb reicht es auch nicht, einfach etwas auszuprobieren. Good Practice gibt es an vielen Schulen. Engagierte Lehrkräfte schaffen immer wieder hervorragende Lernumgebungen. Eine nachhaltige Entwicklung kann nur entstehen, wenn diese Praktiken systemischen Charakter erhalten, in Schulen verankert sind (und nicht den Status von Pionierarbeiten erhalten).
  6. Damit Schulen sich entwickeln, muss die Politik Freiräume und Anreize schaffen. Entscheidend ist aus meiner Sicht eine Abschaffung von Prüfungen: Solange Schulen in alten Formaten prüfen müssen, bleiben sie alte Schulen.
  7. Personell gut aufgestellte Schulen schaffen locker einen Schulentwicklungsprozess, der die Schule als Teil der Digitalen Transformation sieht. Sie können jeden Veränderungsprozess stemmen, weil sie über Veränderungen nachdenken können und den Sinn der Veränderung reflektiert haben. 
  8. Schulen sind gut aufgestellt, wenn sie aus diversen Kollegien bestehen, welche die gesellschaftliche Vielfalt und unterschiedliche Haltungen zu Bildung repräsentieren. Wichtig ist, dass Lehrkräfte auch über berufliche Erfahrungen außerhalb des Schulsystems verfügen.
  9. Schlecht aufgestellte Schulen können Veränderung nur als Bedrohung interpretieren – tiefschürfende Veränderungen wie die Digitale Transformation führt bei ihnen primär zu destruktiven Prozessen.
  10. Damit sich Schulen nachhaltig entwickeln können, müssen sie also zuerst Arbeit an Beziehungen, Reflexion von Gesellschaft, Offenheit und Multiperspektivität verankern. So können sie sicherstellen, dass sie sich von einer problematischen Vorstellung von personalisierter Bildung distanzieren können.

Dejan hat mir mit einer Gedankenschach-Folge geholfen, mich auf diesen Text vorzubereiten:

9 Kommentare

  1. Daniel sagt:

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    https://www.teachforaustria.at/

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  4. Nataliya sagt:

    Ein sehr interessanter Beitrag, der mich heute ganzen Tag beschäftigt hat. Allerdings habe ich deine erste These etwas umformuliert und ausführlich in meinem Blog erörtert:

    http://www.4kplus4p.de/2020/11/02/persoenliche-bildung-und-schulentwicklung/

    P.S. Bitte entferne mein erstes Kommentar zu diesem Beitrag, da ich dort etliche Fehler im Nachhinein entdeckt habe.

    1. Nataliya sagt:

      DEN erstEN Kommentar natürlich!

  5. Danke für die Zusammenfassung der 10 Thesen!

    Allerdings sehe ich den folgenden Punkt etwas anders:

    Bildung im Kontext der Digitalität muss sich zwischen zwei Visionen entscheiden:

    Die personalisierte Bildung liegt in dem von Jöran vorgeschlagenen Koordinatensystem im Bereich „neue Medien, alte Schule“. Das Ziel des Lernens ist hier nach wie vor die Leistungsorientierung, auch wenn schön als Gamification verpackt. Es werden weiterhin Einzelkämpfer gefördert und nun individuell mit Hilfe von Algorythmen optimiert.

    Die einer persönlichen Bildung, die reformpädagogisch orientiert steht die Persönlichkeitsentwicklung in den Mittelpunkt und nicht der Stoff oder die Leistung. Das Ziel ist seine persönlichen Stärken zu fördern und Schwächen zu akzeptieren bzw. zu mindern, um in der VUCA Welt sich erfolgreich zu positionieren. Digitalen Medien sind eine Grundlage, um die 4K als Grundkompetenzen flächendeckend in der Gesellschaft zu etablieren. (Neue Schule – neue Medien)

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