Kolumnen in einer Kultur der Digitalität

Ich habe immer viel gelesen. Als Jugendlicher und junger Erwachsener haben mit Zeitgeist-Magazine wie das Tagi-Magi, Tempo und später Kult beeinflusst – mein Wunsch war, für eine solche Publikation einmal eine Kolumne schreiben zu dürfen.

Eine Kolumne erschien mir als Inbegriff journalistische Freiheit – die durch eine entsprechende Rahmenpublikation mit Reichweite und Relevanz gekoppelt würde.

Mittlerweile erscheint mir dieser Wunsch – wie andere aus dieser Zeit – lächerlich. Einerseits, weil ich meine Ideen niemandem aufdrängen muss. Andererseits erscheint mir die Kopplung von Kolumnen mit anderen redaktionellen Inhalten scheint mir ein Relikt aus einer vordigitalen Zeit. Ich lese jeden Sonntag die Kolumne von Peter Schneider in der Sonntagszeitung, tue das aber auf Twitter. Wenn ich ausnahmsweise in einer Zeitung oder Zeitschrift blättere, denke ich bei Kolumnen: Die sollten doch im Netz erscheinen.

Digitale Plattformen und die Kultur der Digitalität haben die Möglichkeiten, wie Kolumnen publiziert, verbreitet und wahrgenommen werden können, erweitert. Wer eine Kolumne haben will, hat eine. Meine Corona-Kolumne bestand darin, Alpaka- und Lama-Bilder auf Twitter zu posten – ohne Kommentar. Gedacht als eine kleine Aufheiterung, eine Ablenkung.

Ich starte auf Twitter, Instagram und Facebook immer wieder Versuche mit Kolumnen (eine TikTok-Idee entsteht dann wahrscheinlich 2021); bin aber Amateur. Drei Beispiele von Profis, die mich immer wieder beeindrucken:

  1. Christane Frohmann hat mit Pre-Raphaelite Girls Explaining ein Kolumnenformat gefunden, aus dem ein Buch, eine aktivistische Plattform und eine Bewegung geworden ist.
  2. Gabriel Yoran hat auf Twitter mit Aussprachehilfen begonnen, kurzen Texten, die damit beginnen, wie jemand etwas ausspricht. Auch daraus ist ein Buch entstanden.
  3. Antonia Camponovo gestaltet auf verschiedenen digitalen Kanälen (hier Instagram) jedes Jahr eine Art Adventskalender: Gezeichnet, gestaltet, getextet. Dieses Jahr geht es um Erinnerungen, die viele von uns teilen; gezeichnete Nostalgie.

Wer die Kultur der Digitalität und die damit verbundenen kreativen Möglichkeiten verstanden hat, gestaltet Kolumnen. Kolumnen heißt letztlich, dass sich bestimmte Muster, Stile und Bezüge ergeben, die sichtbar sind. Kolumnen sind oft befristete Serien, funktionieren nur in einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Medium. Und Profis auf Social Media sind möglicherweise nicht journalistisch ausgebildet, sondern verfügen über die nötige Erfahrung mit einem Medium, ein Verständnis für die Rezeption und die Netzwerke – und über Kreativität, etwas Eigenständiges, Neues zu versuchen.

(Das Problem von Social-Media-Kolumnen im Vergleich mit den Zeitgeist-Texten der 90er-Jahre: 💰 Zwar können alle Kolumnen haben, aber die Arbeit, die damit verbunden ist, wird selten fair bezahlt.)

Zum Schluss die Aufforderung: Teilt doch noch 2020 die Kolumnen, die ihr gerne lest – und beginnt dann 2021 mit eurer ganz eigenen… 

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