Im Arbeitsfeld Bildung und Digitalität sind immer wieder Tendenzen beobachtbar, kritische Analysen abzuwerten und auszublenden. Diese Tendenzen sind Teil einer Haltung, die auf drei Pfeilern abgestützt ist:
- Lehrkräfte sind eine Community, sobald sie etwas tun, muss das erst einmal gewürdigt werden, weil es aus guter Absicht erfolgt oder innovativ ist. Kritik wird so zunächst als Nestbeschmutzung und als persönlicher Affront empfunden – insbesondere, wenn sie öffentlich ist.
- Unterricht ist weit von einem idealen Zustand entfernt, was Digitalität betrifft. Deshalb ist jede Initiative erst einmal wertvoll, weil sie Kolleginnen und Kollegen dazu bringt, digitaler zu arbeiten. Müssen sie mit Kritik rechnen, dann schreckt sie das ab, schadet also der Mission.
- Wer für ehrenamtliches Engagement oder aufwendige Pionierarbeiten entschädigt werden möchte, braucht Aufmerksamkeit und Reichweite. Kritik verstößt zunächst gegen die positive Logik sozialer Netzwerke: sharing is caring heißt, dass man sich gegenseitig helfen sollte, die Reichweite zu erhöhen.
Aus 3. entsteht nun ein einfaches Muster: Kritik wird aufgefangen, indem die Kritisierenden ermuntert werden, mit den Kritisierten zusammenzuarbeiten. Das kann verschiedene Formen annehmen:
- »Verschwende deine Energie doch nicht damit, andere schlecht zu machen – arbeite doch lieber an diesem tollen Projekt mit und lenke es in die richtige Richtung.«
- »Das kann man schon anders sehen, aber beide Sichtweisen sind doch wichtig, damit eine gute Diskussion entsteht.«
- »Bring doch deine Ideen erst einmal ein, bevor du die von anderen kritisierst.«
- »Jede Person, die sich für unser Thema einsetzt, ist wichtig – hör doch auf, andere auszuschließen, nur weil sie nicht genau so denken wie du.«
Diese Reaktion schafft einen Frame, in dem Kritik keinen sachlichen Kern mehr hat. Es geht nicht um die Sache, nur um die Tatsache, dass etwas negativ dargestellt wurde. So ist diese Form der Antwort eine Derailing-Strategie, die von dem ablenkt, was gesagt wurde.
Wenn jemand sich dafür einsetzt, Präsenzunterricht 1:1 mit Videokonferenzen abzubilden und ich kritisch anmerke, dass das weder gut funktioniert noch didaktisch sinnvoll ist – dann geht es um die Frage, wie digitale Plattformen Präsenzunterricht ergänzen können, wie guter Hybridunterricht funktioniert. Ich kann nicht an einem Projekt mitarbeiten, das von Annahmen und Zielen ausgeht, die ich nicht teile.
Die Kooperations-Replik nimmt so nicht ernst, was kritisiert wird, nimmt auch die kritisierende Person nicht ernst – sondern nutzt sie als Mittel, um die Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu erhöhen und um von der Sache abzulenken.
1 Kommentar