Das Transfer-Problem in der Weiterbildung von Lehrkräften

Am Freitag habe ich hier einen Workshop beschrieben, in dem ich die Teilnehmenden bewusst überfordert habe. Weshalb das sinnvoll sein kann, habe ich schon begründet – weil Weiterbildungen von Lehrkräften sich oft an denjenigen ausrichten, welche in der Bleistift-Metapher zum »wood/would«- oder Anhängsel-Bereich gehören.

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CC BY 4.0 Urheber: OERinfo, Ralf Appelt (Grafik) und Karoline Oakes/Jöran Muuß-Merholz (Text)

Das mag begründet sein, weil es ja vielleicht gerade darum geht, diese Kolleginnen und Kollegen abzuholen – problematisch ist aber, dass ihnen dabei Transfer-Aufgaben abgenommen werden.

Was meine ich damit?

Wirksame Weiterbildung verlangt von Teilnehmenden, Erkenntnisse in ihrer Praxis auch umzusetzen.

Um das zu verstehen, beschreibe ich Weiterbildung, die nicht wirkt: Die Teilnehmenden treffen am Kursort ein, wo sie ein oder zwei Tage lang interessante Dinge anhören, sie kritisch kommentieren und sich ein paar Notizen machen. Am Ende der Veranstaltung denken sie: »Das war schon irgendwie spannend, aber ob ich das wohl wirklich brauchen kann? Also das eine Thema möchte ich schon einmal umsetzen, aber dafür muss ich mir mal so richtig Zeit nehmen.« Dann fahren sie nach Hause, erholen sich von der Weiterbildung und legen die Materialien irgendwo ab. Der Unterricht geht weiter wie zuvor – »so richtig Zeit« findet sich im nächsten Jahr nicht. Die Weiterbildung führt nicht zu einer Veränderung im Unterricht.

Was lässt sich nun tun, damit Transfer möglich wird? Ich bin mir nicht sicher – es ist ein Problem, an dem ich arbeiten. Folgende Dinge habe ich schon ausprobiert:

  1. Die erwähnte Schocktherapie: Performativ erleben lassen, dass die bisherige Kompetenz nicht reicht, um in Zukunft im Beruf bestehen zu können.
  2. Online-Weiterbildungen: Kurse zu Schreiben im Netz und zu Erklärvideos (ab Oktober 2019) habe ich so konzipiert, dass sie die 8 Stunden, die an einem Tag gelernt werden könnten, auf mehrer Wochen verteilen. Die Teilnehmenden sind gehalten, nach jedem Kursblock von rund einer Stunde Transferaufgaben zu erledigen und diese online zu dokumentieren.
  3. Zeit geben: In meinem Kurs zu Fake News vom September habe ich längere Blöcke freigehalten, in denen die Teilnehmenden eigene Unterrichtseinheiten konzipieren konnten. Diese haben sie dann mit telegra.ph geteilt (ganz unten auf der Seite finden sich die Links). So war der letzte Gedanke des Kurstages: »Jetzt habe ich schon einen Anfang gemacht!«
  4. Keine fertigen Arbeitsblätter oder Materialien abgeben. Das ist ein eisernes Prinzip: Ich publiziere meine Materialien sehr gerne, aber nie so, dass andere sie leicht einfach ausdrucken und einsetzen können. Mein Material ist auf meinen Unterrichtskontext bezogen – es kann nicht direkt auf ein anderes Setting übertragen werden. Weiterbildung, in der fertige Materialien abgegeben werden, verhindert Transfer, weil es ihn gar nicht mehr braucht.
  5. Social-Media-Vernetzung im Sinne der PLE-Idee: Wie ich in zwei ausführlichen Buchkapiteln dargelegt habe (1), (2), können Weiterbildungen so gestaltet werden, dass Teilnehmende sich digital vernetzen und die Bedeutung dieser Vernetzung erkennen. So entsteht ein Anreiz zur Dokumentation von Umsetzungen und zur gegenseitigen Unterstützung beim Transfer.
  6. Barcamps als Vernetzung: Für mich ist das noch eine Vision, ich arbeite aber an zwei konkreten Projekten, in denen Weiterbildung nicht als Konsum, sondern als Prosumption angelegt ist. Wer Barcamps besucht, ist »teilgebend« – das bedeutet, dass alle, die anwesend sind, auch einen Workshop abhalten können. Von der eigenen Praxis erzählen ist wahrscheinlich die wirksamste Form für einen Transfer. Lektüretipp: Hier und hier!

Welche weiteren Vorschläge habt ihr, um das Transfer-Problem anzugehen? Gerne in die Kommentare oder auf die digitalen Plattformen schreiben, danke!

Zum Schluss noch eine allgemeine Bemerkung: Lehrkräfte, die nur Zeit für eine Weiterbildung haben, die passgenau ihre Bedürfnisse mit konkreten Umsetzungsvorschläge befriedigt, sollten keine Weiterbildung suchen, sondern sich darum kümmern, Entwicklungen zu ermöglichen und Zeit freizuräumen. Sie sind zu belastet, um sich wirksam weiterbilden zu können, die entscheidenden Voraussetzungen sind für sie nicht gegeben. Gleichzeitig sind Lehrkräfte, die mit PLEs im Netz lernen, in klassischen Weiterbildungsformaten auch am falschen Ort. Weiterbildung muss also in einem Zwischenbereich angesiedelt werden.

 

 

2 Kommentare

  1. zhflipped sagt:

    Zeitmangel ist ein ständiger Begleiter beim Unterrichten und darum sind Veränderungen im grösseren Rahmen schwierig. Warum wird nicht genau die Zeit im Workshops genutzt, um das Gelernte sofort in neu konzipierte Unterrichtseinheiten umzusetzen? Nie ist die Vernetzung unter den Kursteilnehmern direkter und einfacher und das Knowhow für Unterstützung grösser wie im Workshop selber. Ich schlage somit einen «inflipped» Ansatz vor auch für Workshops, das heisst konkret: Keine Vorbereitung der Teilnehmenden für den Workshops im Vorfeld, am Workshop selber 20% Input, 80% Selbstarbeit mit gegenseitiger Unterstützung. Es gibt kein grösseres Geschenk als Zeit zurückzugeben für die direkte Umsetzung des Gelernten am Workshop. Damit ist die Grundlage geschaffen, dass es im Alltag weiter verwendet wird und der Einstieg in ein neues Verhalten ist „aufgegleist“.

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