Gegen digitale Ohnmacht

Die Digitalisierung – besser vielleicht digitale Transformation – wird von Gesprächen begleitet, die Ohnmacht erzeugen. Menschen fühlen sich aus verschiedenen Gründen ohnmächtig: Weil sie eine Transformation erleben, die sie nicht selber angestoßen haben, aber deren Auswirkungen sie bemerken. Sie sind auch ohmmächtig: Weil Konzerne und andere Institutionen ihnen die Freiheit entziehen, relevante Belange selbst entscheiden zu können. Aber – und darum geht es hier – sie machen sich oft auch ohmächtig, indem sie ihre Ressourcen für Gespräche aufwenden, aus denen keine Handlungen entstehen können, in denen nichts entschieden, nichts verändert werden kann.

Was sind das für Gespräche?

  1. Diskussionen über Vor- und Nachteile einer Veränderung, die nicht direkt beeinflusst werden kann.
  2. Klagen über die Mediennutzung Abwesender, besonders Jugendlicher, aber auch Gamer, Menschen in Japan oder China oder Influencerinnen.
  3. Entwickeln von Visionen einer digitalen Zukunft ohne Geländer – also freies Assoziieren zu Szenarien, die alle vom Hörensagen oder aus Black Mirror kennen und die dann zum Ausmalen dystopischer oder utopischer Zustände führen.
  4. Forderungen an Politik, Gesetze oder Verantwortliche stellen, die nicht anwesend sind.
  5. Forderungen an Individuen stellen, die nichts bringen.
  6. Sich eine weitere Aufklärung herbeiwünschen, ohne bereit zu sein, dazu beizutragen.
  7. Die großen Internetkonzerne und das Silicon Valley ganz schlimm finden.
  8. Feststellen, »die Bildung«, »die Wirtschaft«, »die Gesellschaft« müssten ganz anders werden.

Was hilft dagegen? Räume schaffen, in denen Verantwortung leicht übernommen werden kann.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie das geschehen kann:

(1) Konkrete Umsetzungen planen
Wenn Menschen zusammenkommen um ein Gespräch über digitale Transformation zu führen, ganz hartnäckig darauf bestehen, im Laufe des Gesprächs verbindliche Maßnahmen zu beschließen. Das Gespräch muss darin münden, dass etwas anders wird. Das hat zwei Konsequenzen: Erstens fokussiert man auf die Aspekte der Gesellschaft, auf die Anwesende einen Einfluss haben. Zweitens holt man Verantwortliche in die Gespräche rein und bringt sie dazu, Entscheidungen mitzutragen. 

(2) Überzeugungen und Vernetzungen entstehen lassen
Dejan hat mich auf einen anderen Zugang hingewiesen: Er arbeitet mit lokalen Barcamps, auf denen in Freiburg Ideen entstehen und Verantwortliche verschiedener Institutionen Netzwerke schaffen können. Daraus entsteht dann die Überzeugung zu handeln – verstanden im Sinne Arendts:

Die einzige rein materielle, unerläßliche Vorbedingung der Machterzeugung ist das menschliche Zusammen selbst. Nur in einem Miteinander, das nahe genug ist, um die Möglichkeiten des Handelns ständig offen zu halten, kann Macht entstehen […] (Vita Activa, S. 195)

(Für den Hinweis auf den Begriff des Handelns bei Arendt danke ich Marina.)

Barcamps und andere offene Veranstaltungen schaffen dieses »menschliche Zusammen«, in dem Menschen handlungsfähig werden und etwas bewegen können.

Dieser Gedanke verbindet dann (1) und (2) – und macht ein einfaches Kriterium für Formen sichtbar, welche digitale Ohnmacht verhindern: Können wir so handeln – oder werden wir lediglich reden, Befürchtungen in der Raum stellen, Euphorie verbreiten, Visionen entwickeln?

Kann man diese Frage bejahen, dann können selbstverständlich Forderungen, Zukunftsszenarien, Kritik an wirtschaftlicher Praxis etc. sehr sinnvoll sein. Sie sind es aber nicht, wenn sich die Arbeit darin erschöpft.

Diese Gedanken sind das Resultat von Gesprächen an der Dießener Klausur »Mensch/Maschine/Zukunft«. Sie war ein »Miteinander, das […] die Möglichkeiten des Handelns ständig offen gehalten hat«.

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