Der Sea Lion hat den Troll im Netz abgelöst

Trolle sind als Figuren im Netz seit längerem bekannt: Sie stören Kommunikation, indem sie mit unklarer Identität und verschleierten Motiven Irritationen auslösen. Dazu setzen sie auch verbale und visuelle Gewalt ein und laden dazu ein, Profile im Netz mit Hatespeech zu belästigen.

Eine meiner ersten vertieften Beschäftigungen mit Netzkultur und Bildung hatte mit Trollen zu tun – damals ging es mir auch um die positive Seite von Trollen: Sie zeigen auf, wo Systeme blinde Flecken haben, weil sie über die Themen sprechen, welche Institutionen oft verdrängen.

 

Das Bewusstsein für Trolle ist im Netz vorhanden: Wer mit ihnen zu tun hat, erhält Sympathie. Fast alle Plattformen haben Möglichkeiten geschaffen, Trollprofile zu melden, zu blockieren, auszublenden. Damit ist das Problem keinesfalls gelöst, aber immerhin sind Ansätze dazu bekannt, sich vor Trollen schützen zu können.

Anstrengender sind hingegen Profile geworden, die dem entsprechen, was »Sea Lion« genannt wird. Zum ersten Mal bin ich durch diesen Guardian-Artikel auf den Begriff gestoßen. Darin wird die Forscherin Claire Hardaker zitiert:

Sea lioning is the process of killing with dogged kindness and manufactured ignorance by asking questions, then turning on the victim in an instant. “In this, the perpetrator endlessly nitpicks and relentlessly pursues the topic, but oh so very politely and, when the target finally gets annoyed and retaliates, the sea lion takes on the wronged victim of abuse role,” says Hardaker.

Während Hardaker Sea Lions als Trolle klassifiziert, würde ich sie als eigene Klasse von kommunikativ herausfordernden Profilen einstufen. Hier eine Definition:

Der Sea Lion verhält sich anständig. Durch Nachfragen und vorgetäuschtes Interesse zwingt er seine Gegenüber zu umständlichen Rechtfertigungen und Nachbesserungen ihrer Argumente. Das Ziel ist dabei, eine Person dazu zu bringen, emotional zu werden – darauf folgende Vorwürfe weist der Sea Lion ruhig von sich, er hat sich nicht daneben verhalten. Er ist Opfer eines Ausbruchs, mit dem er nichts zu tun hat.

In der europäischen Ideengeschichte ist Sokrates der Inbegriff des Sea Lions: Er fragt in der Öffentlichkeit so lange, bis das Gegenüber das nicht mehr aushält oder das sagt, was er hören will.

Es ist sehr schwierig, mit einem Sea Lion umzugehen. Auf den ersten Blick wirkt er wie ein seriöser Diskussionspartner, der interessiert und auf der Ebene der Argumentation nachfragt. Allerdings versteckt er seine eigenen Interessen: Der Sea Lion argumentiert nicht, er schreibt keine eigenen Texte, er formuliert keine Thesen, sondern meldet Zweifel an, verlangt, dass andere Texte gelesen werden, dass das Gegenüber ganz viel leisten muss, um es überhaupt wagen zu können, eine Aussage zu machen.

Sea Lions lassen sich nicht leicht abschütteln: Sie sammeln Blocks als Trophäen und Beleg dafür, ungerecht behandelt worden zu sein, obwohl sie doch nur nachgefragt, argumentiert haben. Mögliche Reaktionen sind:

  1. Den Begriff »Sea Lion« offensiv verwenden, diese Profile für Außenstehende klar markieren. (Und keine Angst: Es handelt sich hier um eine Beschreibung eines Phänomens, keine Beleidigung oder Abwertung. Wer kein Sea Lion sein will, kann das leicht zeigen.)
  2. Wegfiltern, also muten, statt blocken. Dann sieht man nicht mehr, was Sea-Lion-Profile schreiben, aber sie können nicht behaupten, geblockt worden zu sein.
  3. Sich auf eine kurze Antwort beschränken (oder generell wegsehen).
  4. Wer Geduld, Zeit und Energie hat: Den Spieß umdrehen. Rückfragen, Lektüre einfordern, ausführliche Argumentationen verlangen.

David Malki hat den Sea Lion in einem wunderbaren Comic portraitiert (der Strip umfasst mehrere Panels, hier nur eines) – er ist wohl der Urheber des Begriffs:

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Haben Sea Lions auch positive Seiten? Eher eine wichtige Funktion: Sie zeigen die Aufwertung von nüchternen Argumenten gegenüber emotionalen Reaktionen – und ihren Preis. Die naheliegende Antwort auf einen Angriff – die Emotion – ist ein Mangel, ein Gesichtsverlust. Gleichzeitig führen Sea Lion vor, dass der Modus der Wissenschaftskommunikation an positive Absichten und Gehalt gebunden ist. Wer pseudo-wissenschaftlich argumentiert, ohne damit eine Erkenntnis befördern zu wollen oder etwas zu sagen zu haben, kann mit denselben formal-sprachlichen Mitteln Menschen belasten.

3 Kommentare

  1. brueedi sagt:

    Ich hätte diesen Beitrag gern kommentiert.

    1. brueedi sagt:

      Oh – jetzt klappts. Gestern konnt ichs nicht.

    2. brueedi sagt:

      „Der Sea Lion verhält sich anständig.“ – Ich könnte durchaus ein Seelöwe sein.
      „Es ist sehr schwierig, mit einem Sea Lion umzugehen.“ – Ja, der Umgang mit mir ist schwierig – auch für mich.

      „Allerdings versteckt er seine eigenen Interessen: Der Sea Lion argumentiert nicht, er schreibt keine eigenen Texte, er formuliert keine Thesen, …“ – Ich bin eindeutig kein Sea Lion.

      „Sie sammeln Blocks als Trophäen und Beleg dafür, ungerecht behandelt worden zu sein, obwohl sie doch nur nachgefragt, argumentiert haben.“ – Nein, ich bin Sea Lion.

      Und für einen Troll fehlen mir die Kompetenzen – zumindest aus meiner Sicht, was ein Troll ist. Diejenigen, welche mich als Troll bezeichnen, wissen nicht, was ein Troll ist.

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