Ich möchte vorschlagen, den Hashtag #skipintro als Markierung für Grußworte, Einleitungen und Formalitäten aller Art zu verwenden, die bei Veranstaltungen ohne Verlust für die Anwesenden übersprungen werden können.
Diese Teile haben eine Funktion – wie im unten eingebetteten Tweet Anja Lorenz ausführt –, sogar eine vielfältige: Sie verdeutlichen die herrschende Hierarchie (wer ein Grußwort hält, hat Ressourcen für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt), geben Menschen eine Bühne, die aufgrund ihrer Funktion eine erhalten sollten etc. (Auch die Intros in Serien haben vielfältige Funktionen, wie dieser Aufsatz von Jana Zündel schön darlegt.)
Gleichwohl möchte ich dafür plädieren, diese Einleitungen – wenn immer möglich – zu überspringen. Eine Alternative wäre, das Publikum kurz zu informieren, dass noch ein Intro ansteht, sie aber auch in anderen Räumen Kaffee trinken und informelle Gespräche führen können, wenn sie das lieber mögen. Also überspringen oder Alternativen anbieten. Dafür gibt es zwei Gründe:
- Unsere Aufmerksamkeitsstruktur verändert sich, wie ich hier ausführlicher dargelegt habe.
Diese Definition (aus diesem Vortrag) macht deutlich, dass die Nutzung digitaler Medien zur Gewohnheit führt, direkt zum Wesentlichen übergehen zu können. Menschen, die Bücher und Zeitung lesen oder Programmfernsehen schauen, ertragen irrelevante Informationen viel besser, sie wissen, dass sie etwas ausharren müssen, bis das kommt, was sie wirklich interessiert.
In der digitalen Kultur ist das anders: Informationen werden über Algorithmen vorsortiert, Steuerungselemente erlauben mir, Intros zu überspringen: #skipintro ist eine Funktion, die Netflix und andere Streaming-Dienste anbieten. - Die Grußworte erzeugen einen performativen Widerspruch. Sie fallen besonders bei Veranstaltungen auf, in denen es um digitale Arbeitsformen gibt. Diese Veranstaltungen werden aber durch ihre Rahmung in der Kultur verankert, die durch die Kultur der Digitalität abgelöst wird: In einer Kultur, die durch Hierarchien, Titel und Formalitäten bestimmt ist, in der Personen eine Bühne bekommen, weil sie ein Amt bekleiden. Wenn es also nötig ist, vor dem Nachdenken über digitale Praktiken und Theorien zuerst die Verfahren der nicht-digitalen Arbeitswelt vorzuführen, zeigt das, dass das alles nicht ganz ernst gemeint ist, dass man erst mal versuchsweise über Digitales spricht, aber nicht bereit ist, die nötigen Schritte auch wirklich zu gehen.
Ich erlebe diese schier endlosen Begrüssungen in D um einiges unerträglicher als in der CH. Woran liegts?
Das schöne ist: Der Widerspruch zwischen der alten Welt (Befugnis vor Kompetenz) und der neuen Welt (Kompetenz ist Kompetenz) wird jetzt immer schärfer spürbar und sichtbar. (Nicht, dass man im Auditorium nicht schon immer unter den Ansprachen gelitten hätte, aber man hat sie als unvermeidlich hingenommen.)