Emoji-Kompetenz

So läuft das oft: Ich spreche einen Gedanken laut auf Twitter aus, diskutiere ein bisschen darüber und stoße auf Gedanken, die ich dann mittels Recherche vertiefe und im Blog entfalte.


(1) Mein Problem

Zwei Vorbemerkungen: Mir ist erstens absolut klar, dass Emojis für viele Menschen eine wichtige kommunikative Funktion haben. Die meisten Menschen betonen, Emojis würden ihnen helfen zu verdeutlichen, wie ein schriftliche Aussage gemeint ist. Diese Funktion will und kann ich nicht werten – das ist keine Stellungnahme pro oder contra Emojis. Ich verstehe auch in vielen Fällen, wie Emojis eingesetzt werden. Zweitens ist mir auch klar, dass ich mich Emojis nicht entziehen kann. Ich will und muss lernen, wie man damit kommuniziert.

Mein Problem ist also kein intellektuelles, sondern ein emotionales: Emojis lösen bei mir nicht die richtigen Assoziationen aus. Ich verwende sie sehr gekünstelt und nehme sie auch so wahr: Ich überlege zu viel dabei.

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Nehmen wir das Beispiel links. Das Emoji heißt in OS X »lächelndes Gesicht«. Nur: Das Gesicht hat rote Wangen und geschlossene Augen. Ist es ein verlegenes Lächeln? Ist es ein Lächeln über jemanden oder mit jemandem? Ist die Person verlegen, weil sie lächelt, oder lächelt sie, weil sie verlegen ist?

Nun könnte ich annehmen, dass die Person das halt einfach positiv meint und die nahelegendste Interpretation die richtige ist. Nur habe ich dann schon so viel nachgedacht, dass ich nicht mehr weiß, welches die naheliegende ist. Zudem könnte ich ja auch annehmen, dass es die andere Person nicht positiv meint – ich habe im Netz oft mit Personen zu tun, die mich kritisieren. Und die setzen gerne Emojis ein, um ablehnende Gefühle auszudrücken.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Aus Gesprächen mit Jugendlichen weiß ich, wie unterschiedlich die Symbolik etwa des rechten Emojis sein kann. OS X: »lächelndes Gesicht mit Hörnern«. Es kann von »passiv-aggressiv« über »flirten mit sexueller Konnotation« bis zu »Schadenfreude« alles bedeuten. Also was jetzt?

Und: Ich bin nicht mal alleine.

(2) Die Funktion von Emojis

Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass Emojis in den letzten Jahren gut untersucht wurden. Primär in Interviews und im Labor, selten in wirklich persönlicher Kommunikation (auch aus forschungsethischen Gründen nicht ganz einfach).

Kelly und Watts (2015) betonen, dass über Emojis »Appropriationen« ablaufen. Damit sind Verwendungen gemeint, welche die Absicht derjenigen, welche eine Funktion zur Verfügung stellen, unterlaufen oder modifizieren. Die ursprüngliche Idee hinter Emojis war die Möglichkeit, Gedanken oder Gefühle zu kommunizieren, ohne starke Reaktionen oder Ablehnungen zu provozieren (ebd., S. 3).

Die Autoren listen folgende Funktionen von Emojis in der digitalen Kommunikation auf:

  1. Die emotionale Betonung einer Nachricht kontrollieren.
  2. Ein Gespräch oder eine Verbindung am Laufen halten (als Ersatz für eine inhaltlich gefüllte Mitteilung oder als Anstoß, darauf zu reagieren und weiterzuchaten).
  3. Die wahren Gefühle einer Sprecherin kaschieren (also etwa Absichten abzuschwächen, Kritik zu verstecken etc.).
  4. In digitalen Gesprächen mit dem Gegenüber spielen zu können.
  5. Gemeinsam eine (geheime) Symbolsprache zu erfinden, indem Emojis mit eigenen Bedeutungen belegt werden.

Tang und Hew (2018) haben in einer Review der bestehenden Forschungsliteratur Aspekte herausgearbeitet, über die weitgehende Einigkeit herrscht:

  1. Die richtige Verwendung von Emojis (besonders die positive) trägt zur Festigung von Beziehungen bei.
  2. Sie erleichtert ebenfalls das gegenseitige Verständnis.
  3. Emojis werden stark kontextbezogen und personalisiert verwendet.
  4. Emojiverwendung ist von fünf Aspekten der Kommunikation beeinflusst:
    a) ist die Interaktion auf eine Aufgabe bezogen oder sozialer Natur
    b) wird synchron oder asynchron kommuniziert (synchron werden weniger positive Emojis verwendet als negative, asynchron umgekehrt).
    c) ist die gegenseitige Wahrnehmung positiv oder negativ
    d) Gender (Männer brauchen häufiger Emojis, wenn sie in einer Gruppe mit mehreren Geschlechtern schreiben)
    e) Vorlieben der Nutzerinnen und Nutzer (Emojis, die einfach zu verstehen sind, werden häufiger verwendet).

(3) Technische Differenzen in der Einschätzung

Diese unterschiedlichen und teils auch widersprüchlichen Funktionen werden durch technische Aspekte noch komplexer. Das zeigt eine Studie einer Forschungsgruppe der University of Minnesota (2016).

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Die Tabelle zeigt zunächst, wie unterschiedlich die Emojis je nach Betriebssystem aussehen (unten steht jeweils die Unicode-Abkürzung, die zeigt, dass es sich um dasselbe Emoji handelt). In der Tabelle sind dann die Werte verzeichnet, wie stark die Gefühle abweichen, die je nach Plattform durch die Emojis erzeugt werden. Die länge der Balken zeigt an, wie stark die Differenzen über alle fünf Plattformen hinweg sind. Das Emoji ganz links weist also im direkten Vergleich die stärksten Unterschiede auf, das Grinsen mit den gebleckten Zähnen in der Mitte hingegen die stärkste Differenz über alle fünf Plattformen hinweg.

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Die zweite Tabelle zeigt die Emojis, die in der Bedeutungszuschreibung die stärksten Differenzen aufweisen. Wir sehen so, dass das untere Emoji mit Enttäuschung, Abgeklärtheit, Indifferenz, Verzweiflung und Depression verbunden wird.

Das Fazit der Autorinnen und Autoren (ebd., S. 266, übers. v. Ph.W.):

Wenn Menschen die identische Darstellung eines Emojis sehen, interpretieren sie oft sowohl das damit verbundene Gefühl wie auch die damit verbundene Bedeutung stark unterschiedlich. […] Über verschiedene Plattformen hinweg bestehen starke Unterschiede sowohl in Bezug auf die Gefühle wie auch auf die Bedeutung, die an Emojis geknüpft sind.

Das lachende Gesicht mit geschlossenen Augen bei Microsoft, so eines der krassesten Beispiele, empfindet ziemlich genau die Hälfte der Befragten positiv – die andere Hälfte als negativ. Emojis rufen gemischte Gefühle hervor.

(4) Geschlechterdifferenzen in der Einschätzung

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Diese Tabelle stammt aus einem Paper von Herring und Dainas (2018). Sie haben in einer Studie die starken Geschlechterdifferenzen ermittelt: Generell fühlen sich Frauen in der Verwendung und Interpretation von Emojis deutlich sicherer als Männer und verwenden sie häufiger in mehrfachen Funktionen. Männer geben häufiger an, die Bedeutung von Emojis nicht zu kennen.

Menschen, die sich weder als weiblich noch männlich identifizieren, nutzen Emojis differenzierter und abweichender als Frauen und Männer.

(6) Fazit

Stark und Crawford (2015) nehmen eine kulturwissenschaftliche Interpretation der Verwendung von Emojis vor (S. 8):

Representations of feeling in general, and happiness in particular, are often painted across the exterior of moneymaking ventures. Emoji are an exuberant form of social expression but they are also just another means to lure consumers to a platform, to extract data from them more efficiently, and to express a normative, consumerist, and predominantly cheery world-view. […] In this light, emoji should be understood both as a rear-guard action to enable sociality in digital networks and also the means to quantify, measure, signal, and control affective labor, and reinforce existing regimes of inequality and exploitation.

Sie betonen den Konflikt, den Emojis ausdrücken: Zwischen Normen, die stark von Unternehmen geprägt werden, die uns Werbung zeigen und Dinge verkaufen wollen und dafür positive, einfache Gefühle brauchen – und dem menschlichen Bedürfnis, sich in der Kommunikation mit anderen Menschen zu verbinden und auszutauschen.

Mein Widerstand gegen Emojis – noch mal: der keine Wertung enthält – hat deshalb wohl vier Ursachen:

  • Zu wenig Übung, Erfahrung und positive Erlebnisse mit Emojis.
  • Meine persönlichen Eigenschaften und die Formen, in denen ich häufig kommuniziere.
  • Tatsächlich zu beobachtende Differenzen in der Verwendung und Interpretation von Emojis.
  • Ein gewisses Unbehagen gegenüber den emotionalen Vorgaben, die Emojis machen.

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1 Kommentar

  1. Elisabeth Weil sagt:

    Emojis sind praktisch, ich kann eine schnelle, Zeit sparende Antwort ( Reaktion) geben, ohne etwas schreiben zu müssen. (Unter Freundinnen die sich verstehen). So quasi ohne Worte anstelle eines Blickkontaktes.🙃

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