»Geschichten erzählen ist wie Fragen stellen«, heißt es am Schluss einer programmatischen Rede der Kunstfigur Moriyama in Günther Hacks Roman »Quiz«. Moriyama ist eine Art Prophet für die Menschen in einer nahen Zukunft, ein »Meister der Spiele«. Der Japaner erfindet zunächst eine Quiz-Maschine, die aus den Daten der Umgebung Fragen generiert, die zur Situation passen, in der sich die Spielenden befinden. Doch Moriyama erkennt, dass diese Fragemethode falsch ist:
Die Schule ist oft frustrierend, weil dort falsche Fragen gestellt werden, von denen wir wissen, dass jemand da vorne oder da oben die Antwort schon weiß. Das ist auch der Anfang des Spiels um das Herrschaftswissen, ein unerträgliches Hin und Her. Am schlimmsten jedoch sind Multiple-Choice-Fragen, denn hier liegen die Antworten fertig vor den Geprüften. Multiple-Choice-Fragen sind Karikaturen des Prinzips der wahren Fragen. Sie verhöhnen das Konzept der Frage und die Befragten gleichermaßen.
Gleichwohl entsteht durch die Quiz-Maschine eine Fernsehsendung, welche die Videojournalistin Susi mit dem arbeitslosen Kevin zusammenführt. Susi moderiert eine Spielshow, in der Kevin die letzte Hoffnung sieht, wieder ein würdiges Leben zu führen. Die Spielshow versucht ein abgestumpftes Publikum mit einfachen Tricks zu fesseln.
Wie alle Aspekte in Hacks Dystopie ist sie dilettantisch gemacht; in schneller Folge verpuffen die Effekte und werden durch neue ersetzt. Diese Ersetzbarkeit betrifft auch die Figuren im Roman: Alle machen etwas mit Medien, leben aber prekär. Susi, die noch etwas Erfolg hat, betäubt sich mit »neudaoistischer« Esoterik, die in der Methode des »Kampfschlafens« kulminiert: Einer Technik, die es Menschen erlaubt, sich aus der Welt zurückzuziehen. Der Loser Kevin frisst sich eine Fettschicht an, mit der er die Welt fernhalten kann.
Die Susis und Kevins braucht es nicht mehr in dieser Gesellschaft. Kevin trifft einmal eine Freundin. Aus Nostalgie hat er im Haus seines Vaters einen Foucault-Band mitgenommen, der nur noch dazu taugt, einen Kontrolleur in der Bahn zu verwirren. Die Freundin hält Kevin einen kleinen Vortrag:
Weißt du, ich glaube, dass wir in einer postfoucaultschen Gesellschaft leben. In einer Zeit nach Foucault, verstehst? Er beschreibt ja, wie die Regimes früher den Leuten Disziplin einprogrammiert haben. Die haben Gefängnisse gebaut und den Leuten noch einen zweiten Knast ins Hirn programmiert. Der Knast im Hirn war dann der eigentliche Knast, und zwar lebenslänglich, auch nach der Entlassung. Eh klar. Schule, Militär, Fabrik, Disziplin. Okay. […] Aber diese Zeiten sind vorbei, weil sie keine Leute mehr brauchen, die Chefs, also können sie die Sitten lockern und die Zügel schleifen lassen oder was auch immer. Sie programmieren nichts mehr in die Leute rein. Sie haben auch beinahe vergessen, wie man das macht. Sie schaffen vielleicht noch die eine oder andere Hasskampagne, aber sie haben eigentlich gar keinen Bock mehr, die ganzen Deppen zu programmieren, weil sie total nutzlos für sie sind und sowieso keine Macht mehr haben, weil sie zu schwach sind, um sich zu wehren, eh klar.
Hack präsentiert eine Dystopie, in deren Mittelpunkt die Nutzlosigkeit der Menschen und der Medien steht. Er leitet sie aus einem narrativen Versagen her, aus der Unfähigkeit, in Europa offene und sprunghafte Geschichten zu erzählen. Dieses Versagen zeigt sich in den falschen Fragen, die nicht ins Offene oder Ungewisse zeigen, sondern in sich geschlossen sind.
Geschlossene Fragen gibt es auch in Marc-Uwe Klings »Qualityland« viele. Beim Einkaufen wie in der Politik werden die Menschen zwar noch was gefragt, können aber lediglich »okay« drücken. Peter, Klings Protagonist, bricht aus einer Welt aus, in Menschen berechenbar sind, weil sie von Social Scoring, vollautomatisierten Einkaufsdrohnen und Politik als Mischung aus Marketing und Rassismus beherrscht werden.
In dieser Welt sind die Menschen zwar ebenfalls nutzlos – längst gibt es Roboter, die Politik machen und einkaufen gehen, um die Wirtschaft in Schwung zu halten. Aber das System umsorgt sie: Es befriedigt ihre Bedürfnisse, hält sie zufrieden.
Außer halt eben Peter, der sich ärgert, dass sein Profil bei Amazon nicht stimmt und dank der Beratung eines Widerstandskämpfers, der sich selbst eingesperrt hat und so autonom bleiben kann, merkt, dass die Menschen nicht ins System passen, sondern passend gemacht werden.
Waren Klings Känguru-Romane eine große Parabel darauf, dass der Kampf gegen das System nur mit eingebildeten Tieren geführt werden kann, die einen Antagonisten erfinden (oder halt darauf, dass Humor eine Alternative zu Resignation ist), dann dreht »Qualityland« dieses Problem noch eine Stufe weiter: Humor und ein Gefühl für die Absurdität der Welt haben nur noch die obsolet gewordenen Maschinen. (Was neben der Tatsache, dass Kling langatmige Lehrvorträge über die Digitalisierung ins Buch gepackt hat, auch ein Grund ist, weshalb der Roman nie die Qualität der Känguru-Sketches erreicht.)
Viel Hoffnung machen die Dystopien »Quiz« und »Qualityland« nicht. Sie geben uns etwas Trost: Vögel anschauen, Musil lesen und lachen – das hilft für den Moment. Und Bücher lesen (besonders der Schluss von Quiz ist ergreifend und hat mich dazu gebracht, sofort den Musil-Band aus dem Gestell zu ziehen). Aber damit rechnen, dass wir in eine Welt schlittern, in der das Leben in einem dilettantischen System für alle prekär wird: Das erscheint nach der Lektüre sinnvoll.