Wer erinnert sich an die QR-Code-Diskussion? Jahrelang haben die coolen Netzjungs sich über QR-Codes lustig gemacht. Über ein Hilfsmittel, das Menschen mit einer Leseschwäche hilft, das Netz zu nutzen. Das Schwellen senkt.
Vielleicht wollen halt Menschen nicht unbedingt Schwellen senken. Indiz dafür ist auch die Diskussion über Influencer: Auch hier läuft eine satirische Kampagne, welche diejenigen Beispiele an die Oberfläche holt, in denen junge Frauen ungeschicktes Marketing betreiben. (Als ob geschicktes Marketing generell besser wäre, aber das ist eine andere Geschichte.)
Die Frauen werden als geistlose Marionetten von Marketingabteilung dargestellt, die einen Schein erzeugen, welche die Realität verfälscht.
»Das standardisierte Spielfeld des Internet eröffnete erst den Möglichkeitsraum des Web«, heißt es in Martin Lindners wichtigem Buch:
Für die allermeisten Menschen überwiegt die Erfahrung persönlicher Erfahrung und Ermächtigung bei weitem […]
Das gilt auch für das Influencer-Phänomen. Ein gutes Beispiel dafür ist eine ehemalige Schülerin, die einen Youtube-Kanal betreibt. Lego Lady, wie sie sich auf Youtube nennt, ist mittlerweile Studentin. Ihr Kanal ist gefüllt mit Reisevideos, vielen Let’s Plays und einem persönlichen Vlog. Lego Lady ist kein Star: Sie hat gut 100 Abonnements und bei den häufig geschauten Videos ein paar hundert Views. Aber sie hat einen langen Atem: Seit zwei Jahren veröffentlicht sie regelmäßig Videos.
Seit einigen Wochen lebt die Studentin nun mit einer Krebsdiagnose und benutzt ihren Kanal, um darüber zu sprechen und die Behandlung zu dokumentieren. Sie macht damit das direkte Gegenteil, was jungen Frauen unterstellt wird: Sie stellt ihr Leben nicht als perfekt dar, sondern spricht offen über Belastungen, Unsicherheiten und Ängste.
Lego Lady gehört zu einer Generation, die mit Snapchat aufgewachsen ist. Halb-öffentliche digitale Räume gehören zu ihrem Alltag – dass dort vieles gespielt und inszeniert ist, ist nichts, was sie lernen müssen: Das ist von Anfang an selbstverständlich.
Entsprechend entstehen neue Möglichkeiten. Besonders beeindruckend für mich – und damit ist Lego Lady überhaupt nicht allein – ist die Fähigkeit, auch intime Dinge würdevoll im Netz zu präsentieren. Eine Stimme zu finden, mit der sie über den Umgang mit dem eigenen Körper, die Ungewissheit der Zukunft, Frustrationen aber auch Erfolge, schöne Momente, Freundinnen und Freunde sprechen. Nicht, um andere voyeuristisch daran teilhaben zu lassen, sondern als Vorbilder und eben Influencer in einem ganz anderen Sinne, als die öffentlichkeitswirksame Karikatur sie zeigt: Lass uns über das Leben sprechen und bei Belastungen den Rückhalt bei anderen suchen, statt uns zurückzuziehen.
Diese jungen Frauen sind ein Motor für unsere Gesellschaft und das Netz. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören und von ihnen zu lernen.
Zum Schluß-Zitat: „Diese jungen Frauen sind ein Motor für unsere Gesellschaft und das Netz. Es lohnt sich, ihnen zuzuhören und von ihnen zu lernen.“
Ich verstehe nicht, was an den jungen Frauen besser sein soll als an den jungen Männern.
Dass sie offen über sich, ihre Gefühle und ihr Leben sprechen.