BYOD ist in Lernsettings mit Erwachsenen zu einem Standard geworden: Sie bringen verschiedene eigene Geräte mit und benutzen sie. Für einige sind es wichtige Lerninstrumente, mit denen sie recherchieren und Notizen anlegen, andere sind konstant vernetzt und eine Gruppe von Lernenden lenkt sich mit den Geräten vom Geschehen im Lernraum ab.
Aus pädagogischer Sicht ist die Position der Psychologiedozentin Sarah Genner naheliegend, die sich kürzlich wie folgt geäußert hat:
Seit einigen Semestern verbiete ich in einer Vorlesung Laptops, Tablets und Smartphones […] Das Resultat ist seither eine rege Diskussionskultur in der Vorlesung und eine grosse Mehrheit, welche diese spürbar aufmerksamere Lernatmosphäre schätzt. Und eine Handvoll, die mich dafür mindestens auf den Mond schiessen könnte.
Um die Position zu verstehen, müssen zwei Aspekte ergänzt werden:
- Die Veranstaltung besuchen angehende Psychologinnen und Psychologen, die sich dabei Gedanken zur Medienpsychologie machen. Das Verbot ist eine Art Versuch, ein Angebot für eine bestimmte Erfahrung.
- Sarah Genner begründet das Verbot mit verschiedenen Studien, die im Artikel der New York Times sehr gut zusammenfasst sind.
Diese Studien besagen im Kern:
- In klassischen instruktiven Lernsettings lenken Bildschirme ab.
- Wer Notizen an einem Tablet oder auf einem Laptop macht, kann sich weniger gut an Gesagtes erinnern
- und verarbeitet Lerninhalte weniger tief.
- Diese Effekte übertragen sich auf Lernende, die nicht direkt digitale Medien nutzen, sondern in der Nähe von solchen sitzen, die das tun.
Betrachtet man BYOD-Didaktik (hier meine ausführlichen Gedanken dazu), kann man diese Studien auf drei Ebenen hinterfragen. Auf der ersten befragt man die Lernsettings: Ist es wirklich zeitgemäß, in Vorlesungen Stoff zu vermitteln, der dann abgefragt wird? Das führt zu einem zweiten Einwand: Kann man Lerneffekte überhaupt so messen, wie das diese Studien vorgeben? Wie berücksichtigt man das, was die Benutzerinnen und Benutzer digitaler Medien durch ihre Vernetzung und ihre Recherche individuell lernen? Drittens befassen sich all diese Studien mit Menschen, die eine analoge Schulsozialisation durchlaufen haben und erst in den letzten Jahren ihrer Ausbildung mit digitalen Medien zu lernen begonnen haben. Sie sind Anfängerinnen und Anfänger in diesem Bereich – weshalb sollte es dann erstaunen, dass sie diese Technik nicht besonders gut beherrschen?
Neben die Kritik an die Studien tritt für mich eine Überlegung zur Medienkompetenz: Mündige Lernende können darüber entscheiden, wie sie Notizen machen, Präsenzveranstaltungen nutzen, recherchieren und wie sie sich in Unterrichtsgesprächen verhalten. Schreibt man ihnen eine bestimmte Art der Mediennutzung vor, spricht man ihnen diese Mündigkeit vorerst ab. Dieses pädagogische »noch nicht« ist aber nur dann legitim, wenn ein Weg aufgezeigt wird, wie die Mündigkeit erlangt wird. Zu oft bleibt es aber beim Verbot – das dann implizit davon ausgeht, die richtige Verwendung digitaler Hilfsmittel, eine wirksame Lernstrategie und die nötige Selbstachtsamkeit würden sich später dann irgendwie von selbst einstellen.
Besser ist die Haltung, die Genner einnimmt: Probieren wir eine Technik einmal aus. Das kann eine sein, welche das Netz als Unterstützung herbeizieht, aber auch eine, die ohne Bildschirme auskommt. Nach einem Seminar mit Studierenden darüber zu sprechen, wie der Verzicht auf Bildschirme auf sie gewirkt hat – das ist eine zeitgemäße Lernform. Sie vorher dazu einzuladen, diese Erfahrung zu machen, scheint mir nicht problematisch.
Allerdings ist der Grat zwischen einem experimentellen Anreiz und einer unreflektierten Vorschrift gerade in pädagogischen Machträumen sehr schmal. Es sollte nicht vergessen gehen, dass die digitalen Devices in Lernräumen für eine Emanzipation von einer gleichförmigen Instruktion stehen. Verbote bestärken oft ein überholtes, aber halt bequemes Lehrformat.
Bin jetzt einfach einmal froh, dass Sarah Genner offensichtlich derselben Meinung ist wie ich. Das „Fehlen“ der Bildschirmen in Präsenzveranstaltungen, ob Vorlesung oder klassischer Unterricht an der Volksschule, schliesst damit das zeitgemässe Lernen keineswegs aus. Ganz im Gegenteil. Zeitgemäss bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Lernen nicht mehr nur und ausschliesslich in fremdbestimmten Räumen zu fremdbestimmten Zeiten stattfindet. Zeitgemässes Lernen bedeutet orts- und zeitunabhängiges Lernen – Lernen unterwegs. Der (1) Bildschirm ist im Präsenzunterricht Mittel zur Präsentation und damit zur Auseinandersetzung mit Aufgaben und Lösungen – mehr nicht.