Es gibt Stunden, in denen ich mir als Lehrer überflüssig vorkomme. Im besten Fall ist ein Kollege da, mit dem ich dann ein Gespräch führe (meist über die Schule), oder eine Schülerin braucht noch etwas Hilfe oder Ermutigung: Alle anderen aber arbeiten.
Braucht es mich noch?, denke ich da zuweilen. Nein, eigentlich nicht. Es braucht einen Moment der Reflexion um festzustellen, dass ich damit ein Ziel erreicht habe. Auf jeder Ebene meiner Tätigkeit – von der Begleitung von Klassen bis zur Korrektur von Texten, vom Lehrervortrag in der ersten Lektion am Morgen bis zur Planung eines Museumsbesuchs – müsste mein Ziel sein, meine Tätigkeit obsolet zu machen.
Lernen im umfassenden Sinne braucht keine Anleitung, keine Motivierung, keine Bewertung, nicht einmal Begleitung. Es erfolgt in einem selbstgewählten Setting, mit selbstgewählten Arbeitsmaterialien und zu selbstgewählten Zeitpunkten. Seine Ergebnisse bewerten seine Qualität. (Und mit Ergebnis ist nicht etwas wirtschaftlich Verwertbares gemeint, sondern eine Veränderung im eigenen Denken.)
Und doch verhalten wir Lehrerinnen und Lehrer uns oft so wie die Friseure und Dentalhygienikerinnen, die im informellen Gespräch beiläufig mitteilen, dass ein regelmäßiger Besuch ihrer Institution durchaus angebracht, ja sozial und moralisch verpflichtend wäre. Wir schaffen Strukturen, in denen es uns trotzdem noch braucht. Was prüfungsrelevant ist, entscheiden wir. Wie ein Text geschrieben werden muss, auch. Sogar wann die Schülerinnen und Schüler trinken oder zur Toilette dürfen, müssen wir reglementieren – weil es uns sonst nicht mehr bräuchte.
Keine Angst: Sich überflüssig zu machen ist eine hehre Aufgabe. (Ich sage das mehr zu mir selbst als zu anderen.)
Dem stimme ich voll und ganz zu. Stell dir vor, Philippe: Ich habe es schon vor mehr als 20 Jahren gewagt, die Teilnahme an meinem (obligatorischen) Unterricht freiwillig zu machen – wer nicht mit von der Partie sein wollte, dem/der habe ich – allerdings innerhalb gewisser Rahmenbedingungen (zuhause bleiben konnte man zB. nicht) – ermöglicht, „frei“ zu arbeiten. Leider blieb ich weit und breit der einzige, der solches anbot.
Ich kann die LuL nur ermutigen, den Unterricht freizugeben – es ist ein Gewinn für alle Beteiligten!
Interessant übrigens, dass die SuS im „Normalunterricht“ erst zu arbeiten beginnen, wenn die LP ins Zimmer tritt, und subito aufhören zu arbeiten, wenn die LP rausgeht (zum Kopieren etc). Das sagt ja auch schon ziemlich viel…
gibts eine solche schule (schulleitung), die solches zulässt, auch in echt?
Ich habe (wohlweislich …) nie eine Schulleitung gefragt, aber auch nie etwas verheimlicht, was „didaktisch unüblich“ war.
Das ist eine zentrale pädagogische Erkenntnis. Dieser Prozess braucht viel Mut, Ausdauer und Vernetzung mit unterstützenden Menschen!
Also: Vom Herrschaftswissen zur Kollaboration!
Ich gliedere meine Tätigkeiten als Lehrer, nehme Bildungsziele entgegen, präpariere sie, teile sie vor und während meines Unterrichts, mache mich überflüssig, nehme schriftliche Arbeiten entgegen und diskutiere sie… [loop]
Klar bin ich überflüssig, wenn meine SchülerInnen so arbeiten, dass ich mich überflüssig fühlen kann.
Hat dies auf teaching knowledge and creativity rebloggt und kommentierte:
Richtige Haltung für Lehrende im 21. Jahrhundert! Danke an Philippe Wampfler.
Von Rolf Arnold habe ich gelernt, dass dies dann subsidiäre Führung wäre. Bei diesem Führungskonzept steht die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund.
… da erinnere ich mich sofort an das Zitat von Friedrich Nietzsche: „Man belohnt seinen Lehrer schlecht, wenn man sein Schüler bleibt!“
Wunderbar formuliert. Schliesse mich ohne Vorbehalte den Überlegungen an. Da wäre aber noch dies, eben gestern am eigenen Lehrerleib erfahren: Feedback einer Schülerin mit bildungsbürgertümlichen Hintergrund: Aber dann arbeiten ja nur wir und Sie haben gar nichts mehr zu tun….
und was hast du ihr zur Antwort gegeben? Mir haben diese Frage SuS ohne bürgertümlichem Hintergrund gestellt ( wir hatten keine solche)
Autonomie- und Selbständigkeitsparolen. Schwieriger wird es aber mit Schulleitungen, die der Meinung sind, mit Gefässen wie Ateliers SoL oder BeL könne bei den Salären der Lehrpersonen Geld gespart werden (man sei ja nur da….)