Digitale Texte im Deutschunterricht: Edeka und Böhmermann

Im neuen Buch und in einem Vortrag zu digitalen Medien im Deutschunterricht plädiere ich für einen weiten Textbegriff, in den digitale Texte einbezogen werden. Texte, so die Forderung, sollten nicht in einen Gegensatz zu »Medien« gestellt werden, sondern Gegenstände beliebiger Lektüreprozesse umfassen. In Lehrplänen und in der Fachdidaktik ist das schon angedacht, aber konsequent umgesetzt wird diese Forderung weder in Theorie noch in Praxis.

Bevor ich zwei Beispiele für aktuelle digitale Texte vorstellen, von denen ich mir eine Analyse im Unterricht erwünsche, ein Zitat aus dem Buch zu »Digitalem Deutschunterricht« (S. 53f.):

Während gedruckte Texte das Problem einer »virtuellen Welt« offenbar nicht einer Reflexion zuführen können, scheinen digitale dazu in der Lage zu sein. Damit wird übersehen, dass diese Problemstellung kulturgeschichtlich mit Fiktionalität in Verbindung steht, nicht mit digitaler Repräsentation von Literatur. Die Eigenheiten digitaler Literatur verdienen durchaus eine fundierte Analyse und Reflexion – sie sind jedoch nicht konstitutiv für den Lernprozess, um den es in diesen Bereichen der Lehrpläne geht. Digitale Literatur  wird auf ein spezifisches Problem reduziert, womit ihr die kulturelle Bedeutung abgesprochen wird.
Aber was meint denn digitale Literatur genau? Im Sinne eines weiten Textbegriffs, der neben im Internet publizierten Texten auch Computerspiele, Bild- Text-Kombinationen wie Memes oder Graphic Novels sowie Youtube-Vlogs umfassen soll, ist die Forderung, digitale Literatur müsse primär schriftsprachlich fixiert sein, abzulehnen. Gemeint sind mit digitaler Literatur vielmehr computerspezifische Texte, zu deren Produktion und Rezeption digitale Medien erforderlich sind. Hinzu tritt – gerade bei Computerspielen – die Möglichkeit der Interaktion oder der Fiktion der Interaktivität«, die als zentrales Merkmal digitaler Literatur gelten kann. Weitere oft erwähnte Eigenschaften wie der doppelte Text (Code und Oberflächentext), die Multimedialität, Hypertextualität, Kooperativität oder die narrative Struktur dürften als Beschreibung einzelner Texte hilfreich sein, sind aber keine hinreichenden oder notwendigen Kriterien für das Vorliegen digitaler Literatur.

Edeka

Edeka setzt als Marketing-Instrument viral verbreitete Kurzfilme mit starkem emotionalem Gehalt. Die aktuelle Kampagne erzählt von einem übergewichtigen Jungen, der mit der richtigen Ernährung abnimmt und so seine Träume erfüllen kann.

Eine frühere Kampagne zu Weihnachten 2014 zeigt einen einsamen alten Mann, der seinen Tod vorgibt, um seine Familie zu vereinen. Beide Spots provozieren starke Reaktionen, die teilweise auch sehr negativ ausfallen. Gleichzeitig oder auch deswegen erfreuen sie sich aber auch starker digitaler Verbreitung. Dabei ist umklar, wie gut sich das auch als Marketing-Effekt niederschlägt.

Als Unterrichtsbeispiel sind die Spots an sich interessant, sie eigenen sich für das Entwickeln von Methoden zur Filmanalyse, darüber hinaus geben sie aber auch Aufschlüsse über die Manipulation von Emotion beim Publikum, regen an zum Nachdenken über Möglichkeiten und Pflichten des Marketings. So sind die Spots immer auch mit einem Hashtag versehen, der einer Kampagne die Ausrichtung und den Namen gibt.

Böhmermann

Jan Böhmermann hat im politischen und journalistischen Bereich mit Grenz- und Normverletzungen immer wieder für Aufmerksamkeit gesorgt. Dabei spielt er geschickt mit Codes, Verweisen, Selbstreferenzialität und der Vermischung von Fiktionalität und Authentizität.

Die Varoufakis-Spots eigenen sich gut für einen Einstieg, bei dem  viel Hintergrund mit Recherche erarbeitet werden müsste.

Aber auch Böhermanns Fehden mit der Deutschrap-Szene – das habe habe ich früher schon ausgeführt – eignen sich sehr gut für eine gymnasiale Unterrichtseinheit, bei der das Zusammenwirken von Sprache, Gesellschaftskritik, visuellen Codes, Profil und Identität einer Analyse zugeführt werden können.

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2 Kommentare

  1. Johanna Uhl sagt:

    Sehr gut!
    Wen es interessiert, hier ein Beitrag aus meiner Unterrichtspraxis: Interessant in diesem Zusammenhang auch das Digitale Quartett aus der Sendung Neo Magazin Royal (hier werden Dialoge aus Chats bzw. Kommentaren im Netz inszeniert), mit welchem ich in meinem Deutschunterricht die Unterrichtseinheit „Hass und Hetze in Kommentarspalten“ eingeleitet habe – witzig und was Lernziele betrifft, äußerst vielseitig, sowohl bezogen auf den Deutschunterricht als auch im Sinne der Förderung einer Medienkompetenz, die besonders das Verhalten anonymer Mediennutzer im Internet berücksichtigt.
    Und zum Thema „digitale Texte“ noch ein sehr gewinnbringender Tipp: Sprechaktanalyse in Chats (bspw. zum Durchschauen von Strategien im Zusammenhang mit Cybergrooming).

    1. Danke für diese Hinweise, Johanna! Sehr spannend.

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