In den ersten Jahren meiner Tätigkeit als Lehrer haben Freundinnen und Freunde regelmäßig bemerkt, ich würde mich wie ein typischer Lehrer verhalten. Diese Hinweise wies ich stets zurück, ich wollte sie nicht wahrhaben. Für mich waren es eher Stärken, eine Entwicklung meiner Persönlichkeit: Ich konnte eine Gruppe von Jugendlichen mit Symptomen der Pubertät lenken, ich konnte mir Gehör verschaffen, Entscheidungen moderieren, verkaufen und durchsetzen, Prozesse so anleiten, dass sie Resultate produzierten – kurz: Meine Dominanz hatte einen Sinn, sie führte Gruppen ans Ziel.
Nun mögen Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein etwas sein, was die Schule von Lehrpersonen verlangt. Unsicherheit wird im Lehrberuf als Problem wahrgenommen. Begleitet werden diese scheinbaren Führungsqualitäten aber oft von Lehrerhaftigkeit, die viele Ausprägungen kennt. Hier eine unvollständige Liste:
- tun, als wüsste man, was für andere gut ist
- tun, als würde man im Gegensatz zu anderen aus hehren Motiven handeln
- Autorität einfordern
- andere belehren
- mit Schülerinnen und Schülern sprechen, als wären sie Kleinkinder
- auf Ritualen bestehen, die keine Funktion haben
- sprachliche Formalitäten zelebrieren
Diese Art von Lehrerhaftigkeit gibt es auch in sozialen Netzwerken – man denke nur an die Konten all der @Herrx und @Frauz. Klar: Sie wollen anzeigen, dass sie das Profil in einer beruflichen Rolle und nicht als Privatperson betreiben. Gleichwohl: Lehrerhaftigkeit bedeutet, in professionelle Kommunikation eine unnötige Distanz, eine entmenschlichte Professionalisierung einzubringen.
Das Ideal in Christof Arns »Agiler Didaktik« ist ein Unterricht, der wie ein Gespräch befreundeter Erwachsener bei einem Glas Wein verläuft. Da mag in Schulen nicht immer möglich sein: Aber nicht nur, weil die Schülerinnen und Schüler dazu nicht bereit sind. Oft sind es auch die Lehrpersonen nicht, die sich hinter ihrer Rolle verstecken und Nebenumstände der Schulorganisation in den Mittelpunkt stellen, als wäre nicht ein interessantes Gespräch das höchste der Gefühle, sondern geschüttelte Hände, Grußformeln in E-Mails und das, was sie »Respekt« nennen.
Genau so wichtig wie Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein ist es, sich zurücknehmen zu können, ein Mensch unter Menschen zu sein, eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer am Gespräch, nicht seine Leiterin oder sein Leiter. Und das sage ich genau so mir selber wie anderen: Weil es schwierig ist und das Zurückfallen in die Lehrerrolle oft auch aus Bequemlichkeit geschieht, weil es geordnete Abläufe verspricht.
Das Zurücknehmen ist in der Tat wichtig, auch innerhalb der Schule. Ich denke, das Phänomen trifft aber nicht nur auf Lehrer zu, sondern auf alle, die sich in einem Themengebiet gut auskennen und diese Reflexion nicht aufbringen. Dass ich den Verweis auf das Herr in diesem Zusammenhang nicht besonders geeignet finde, versteht sich von selbst. Herr B.
Absolut.
Es ist jedoch kein Phänomen das sich auf die Schule beschränkt. Möglich, dass der Schul-Ton und Habitus spezifisch ist, das Zusammenspiel von Führungs- und Beziehungsqualität zeigt sich jedoch auch andernorts. In sozialer Arbeit, in Führung generell, … Es ist, was E. Schein als die helfende Beziehung in Organisationen sieht.
Schaffen wir ein Statusgleichgewicht!
Hier beschreibst Du ein Thema, das Lehrende wohl bis zum Ende einer Berufsbiographie und vermutlich darüber hinaus begleiten wird. Mir hat bei meinen Bemühungen „gegen Lehrerhaftigkeit“ geholfen, mir klar zu machen, dass ich auch innerhalb von Schule verschiedene Rollen einnehme: Lehrende von Schüler*innen, Kollegin, Lernende, Fachleiterin, Freundin etc. Diese Rollen aufmerksam auszufüllen, hilft mir, in meiner schulischen Praxis „dynamisch“ zu bleiben und mich tatsächlich auch in einer Lerngruppe zurückzunehmen. Die „Agile Didaktik“ von Arns scheint mir darüber hinaus ein geeigneter Rahmen zu sein, die eingeübten Rollen zu verändern.
Danke sehr. Was war der genaue Titel des Buches, das du auf Twitter vorgezeigt hast?
Kritische Lehrer_innen Berlin: Kritische Lehrer_innen. Kein Handbuch. Berlin 2010. http://kritischelehrerinnen.blogsport.de/images/krile_keinhandbuch.pdf
Absolut!!!!! Ich frage mich aber, warum ist das so? Warum gestalten wir es nicht anders?? Wo wir doch wissen, dass diese Lehrerhaftigkeit und diese Art zu lernen nicht nur Quatsch sondern kontraproduktiv ist und wie motiviert lernen eigentlich geht! Durch Gerald Hüther & Co. Ich bin verzweifelt… aber will die Hoffnung nicht verlieren ;)!!
Hat dies auf lebendiglernen_dot_ch rebloggt.
das tut gut zu lesen