Vor einem Jahr habe ich darüber geschrieben, warum die Idee von »Digital Detox« »Nonsense von Privilegierten« sei. In der aktuellen DIVSI-Studie heißt es dazu, dass Personen, die das Internet weniger intensiv nutzen, eher dazu neigen, eine solche Entschlackungskur einzulegen, indem sie auf digitale Kommunikation verzichten. Die Autor*innengruppe hat dazu auch eine Erklärung:
Warum verhält es sich so widersprüchlich, dass nicht in erster Linie die Intensivnutzer zur Entspannung und Erholung offline sein wollen? Dies liegt daran, dass es vielen mittlerweile besonders gut oder gar besser gelingt, mit Hilfe von Internetangeboten abzuschalten – beispielsweise bei Musik oder Filmen, die über Streamingdienste geladen werden oder bei Videospielen. Der Blick auf die DIVSI Internet-Milieus zeigt, dass es vor allem die digitalen Lebenswelten mit einem schmalen Nutzungsspektrum digitaler Unterhaltungsmöglichkeiten sind, für die Erholung eher fernab digitaler Sphären stattfindet. (S. 105f.)
Doch »Digital Detox« scheint 2016 ein harmloses Problem zu lösen. »Digital Burnout« ist es, was Autoren wie Andrew Sullivan und Christian Zeier zu drastischen Maßnahmen und noch drastischeren Texten veranlasst hat.
Sullivan schreibt:
This new epidemic of distraction is our civilization’s specific weakness. And its threat is not so much to our minds, even as they shape-shift under the pressure. The threat is to our souls. At this rate, if the noise does not relent, we might even forget we have any.
Und Zeier:
Ich stand auf und fühlte mich schlecht. Ich fühlte Hass, Erschöpfung. Ich fühlte mich leer. Früh aufstehen wollte ich, duschen, rechtzeitig im Büro sein – einfachste Vorgänge, die ein geringes Mass an Disziplin verlangen. Aber mein [Smartphone], kräftig unterstützt durch mein Unterbewusstsein, hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nicht das erste Mal, aber heftiger denn je. Was war los mit mir? Hatte ich die Kontrolle verloren?
Aus der Distanz ist nicht zu beurteilen, was Sullivan und Zeier erleben. Zu sagen, selber könne man ein gutes Leben mit einem Smartphone führen, hilft nicht, diese Erfahrung zu verstehen oder ihr eine Bedeutung abzusprechen.
Leere gab es als Erfahrung schon immer, wie die bekannte XKCD-Frageliste zeigt. Burnout wohl auch. Die Frage ist: Gibt es eine spezifische digitale Leere, ein digitales Burnout? Macht das Smartphone etwas sichtbar, was sich auch sonst einstellen würde, wenn man sein Arbeitstempo ständig beschleunigt und die Wertschätzung der eigenen Leistung von der Reaktionsintensität anderer abhängig macht, wie das Sullivan beschreibt, oder wenn man den eigenen Anforderungen nicht genügt, wie das bei Zeier der Fall ist? Verstärkt die digitale Kommunikation allenfalls Vorgänge, die sich auch sonst abspielen würden? Oder haben sie eine spezifische Qualität, die eine Verschiebung bewirkt, die dann für sich allein genommen krank macht, die »Seele« angreift?
Beantworten können das nur Menschen, die solche Erfahrungen machen. Das scheint mir der entscheidende Punkt: Was wir erleben, muss nicht von außen gedeutet und gewertet werden. Wenn mir kalt ist, bringt es nichts, wenn mir jemand die Temperatur vorliest, Vorwürfe macht oder die Heizmethode erläutert. Aber genau so wenig kann ich diese Erfahrung verallgemeinern und behaupten, Ende September fühlten alle Menschen die Kälte, am Dienstag sei es immer besonders kalt oder Joghurt zum Frühstück lasse einen die Kälte besonders fühlen.

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