Wie Schulen »echte« Mitbestimmung ermöglichen

In der Blogparade von Jan-Martin Klinge und Dejan Mihajlovic wurde die Frage aufgeworfen, wie viel Mitbestimmung eine Schule brauche. Die bisherigen Beiträge diskutieren viele wichtige Aspekte (man findet sie hier ganz unten). Deshalb konzentriere ich mich hier auf einen Zugang, der mir wichtig erscheint.

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Echte Mitbestimmung an Schulen bedeutet, dass Schüler*innen bei allen das Zusammenleben betreffenden Ereignissen und Entscheidungsprozessen miteinbezogen werden. Dafür gibt es unterschiedliche Abstufungen: Von der Informierung, über Mitsprache bis hin zu zahlreichen Formen der Mitentscheidung. (Den Zusatz »echte« füge ich seit ein paar Jahren zu den eher politischen Entscheidungen mit höherer Gewichtung, die alle Mitwirkenden einer Schule betreffen, hinzu, um eine Differenzierung zu den klassischen SMV-Projekten, wie Nikolausverkauf oder Schulparty, zu erhalten.)

Diese Passage von Dejan verweist auf den für mich zentralen Punkt: Bereiche des Schullebens zu bestimmen, in denen milde Formen mit Mitbestimmung möglich sind, ist eine Simulation eines Prinzips, die letztlich eine Marketingmaßnahme ist: Die Schülerinnen und Schüler merken, dass die wirklich wichtigen Fragen von ihnen nicht verhandelt werden dürfen, so dass die tatsächlich an sie abgegeben Entscheidungen viel von ihrem Wert verlieren.

Nur: Strukturen brechen nicht so schnell auf. Guter Wille reicht nicht aus, um aus einer hierarchischen Schule Summerhill zu machen. Wenn also wirksame Mitbestimmung erfolgen soll, muss es ums Ganze gehen. Im Folgenden stelle ich deshalb zwei Wege vor, die das an meiner Schule möglich gemacht haben.

  1. Fortbildungs-/Schulentwicklungstag für alle. 
    Schülerinnen und Schüler übernehmen die Organisation eines Tages, der zur Fortbildung bzw. für die Schulentwicklung genutzt wird. Was an diesem Tag geschieht, ist komplett den Schülerinnen und Schülern überlassen – sie verfügen auch über die Zeit und Aktivität von Lehrkräften.
    Während des Tages können Aufträge an die Schulleitung formuliert werden, die als Mandat zur Umsetzung verstanden werden.
    Beides zusammen führt zur echten Mitbestimmung, weil Schülerinnen und Schüler erstens nicht Entscheidungsrechte ohne Pflichten erhalten – sie sind verantwortlich für die Durchführung des Tages und erhalten viel Feedback dazu. Zweitens ist die ganze Schule davon betroffen, man kann dem Projekt nicht ausweichen oder es ignorieren.
    (Ähnlich funktionieren auch Schulfeste, die umfassend von Schülerinnen und Schülern durchgeführt werden, wie etwa der letzte Schultag oder das Sommernachtsfest an der Kantonsschule Wettingen.)

    Bildschirmfoto 2016-09-06 um 10.22.31.png
    Ein Eindruck vom letzten Schultag: Thema »Harry Potter«
  2. Öffentlichkeitsarbeit. 
    Mit dem Youtube-Kanal und einer wöchentlichen News-Sendung hat die Kantonsschule Wettingen einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern (im Moment ist das zweite Team dafür verantwortlich) ein Instrument für die Öffentlichkeitsarbeit an die Hand gegeben. Das Schulleben wird öffentlich dokumentiert und kommentiert – die anderen Kanäle der Schule verweisen auf dieses Produkt. Inhaltliche Entscheidungen fällen nur Schülerinnen und Schüler. Sie werden begleitet, aber nicht überstimmt. Es liegt in ihrer Verantwortung, wie die Schule nach außen präsentiert wird.
    Auch dieses Mittel hat viel Kraft, weil es die Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zeigt. (Der aktuelle Beitrag ist unten eingebettet.)

Diese beiden Wege sind Ansätze, welche Mitbestimmung kontinuierlich wirksam werden lassen. Mittel, um Entscheidungen in den Unterricht und seine Organisation einfließen lassen, werden dadurch nicht ersetzt, auch sie sind wichtig für die Motivation und das Erlernen einer Gesellschaftsreife. Erlebte Partizipation ist Bedingung für politisches Interesse und in einer Demokratie unerlässlich. Aber sie entsteht nicht von heute auf morgen, sondern muss geübt und geplant werden.

 

6 Kommentare

  1. brueedi sagt:

    Es gab schon immer LehrerInnen, die echte Mitbestimmung in ihrem Klassenzimmer und darüber hinaus zuliessen und pflegten – und es wird immer LehrerInnen geben, die diese Mitbestimmung trotz betreffender Weiterbildungen und schulweiter Umsetzung nie zulassen werden.

  2. martinlindner sagt:

    man müsste also mehrere linien ziehen, oder?

    (1) simulierte partizipation: also abstimmen über den film, den man sieht; nikolausbasare usw.
    (2) kummerkasten- und leserbrief-partizipation: also wünsche äußern zur gestaltung des pausenhofs und dergleichen.
    (3) partizipation als entwicklung und stärkung der eigenen stimme („jetzt reden wir mal“), abgespalten vom eigentlichen geschäft der schule – das wären die beispiele oben.
    (4) partizipation als selbstverständliches mitdenken, mitentscheiden, mitinformiertwerden beim eigentlichen geschäft der schule, auf der ebene der verwaltung (schulentwicklung, geldmittel-lage und -einsatz … das wäre wohl das, was dejans SMV im idealfall macht)
    (5) partizipation bei der gestaltung des gemeinsamen lernprozesses, verantwortung für das gelingen des gemeinsamen projekts (am schwierigsten, bedeutet aber noch gar nicht notwendig „summerhill“ – dejan hat in den notizen zum eigenen unterricht angedeutet, was da ganz konkret ginge).

    1. Es ist sicher hilfreich, diese Ebenen auseinanderzuhalten. Die beiden Perspektiven, die ich meinem Post angeboten haben, sollten aber diese Ebenen überspringen können, also z.B. Probleme auf Ebene (4) und (5) artikulieren können und diesbezüglich Bedürfnisse anmelden. Anders gesehen. Die eigene Stimme und das Vertrauen in sie ist die Grundlage für (4) und (5) – das wäre meine Sicht. Zumal wir an der Schule Schülerinnen und Schüler haben, die auswärts Lern- und Schulsozialisierung erfahren haben.

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