Wie lassen sich Lern-Ideen vermitteln?

Gestern habe ich in einem spannenden Rahmen an der ZHAW über digitale Didaktik in der Erwachsenen- und Weiterbildung nachgedacht. Auch wenn Details strittig sind, so gibt es doch einige Aspekte, in denen man sich unter Fachleuten einig ist:

  • Lerneffekte sind dann stark, wenn sie von einem Individuum ausgehen, das eigene Bedürfnisse artikuliert, sich für das eigene Lernen selbst motiviert und Lernprodukte herstellt, die relevant erscheinen.
  • Echte Kooperation und Kollaboration sind für die Arbeitswelt wie auch für wirksames Lernen entscheidend; sie erfolgen projektbezogen.
  • Der Transfer von Wissen ist nicht der primäre didaktische Auftrag, vielmehr geht die Wissensaneignung wiederum von den Lernenden aus.
  • Präsenzveranstaltungen sollten primär dazu dienen, Lernende zu vernetzen, Austausch und Reflexion zu ermöglichen.
  • Didaktik – oder schöner: »didaktische Interventionen« – bedeuten dann letztlich, Lernende nicht alleine zu lassen, Präsenz zu markieren oder zu organisieren.
  • Formales Lernen bedeutet letztlich, Rahmenbedingungen einzuhalten, in denen informelle Lernprozesse ablaufen können und sollen.

Die Einigkeit in diesen Punkten reicht aber nicht für ihre Umsetzung im Unterricht. Warum eigentlich nicht?

Auf einer ersten Ebene würde ich davon sprechen, die Ideen seien schwer zu vermitteln. Wer Weiterbildungen von Erwachsenen so organisiert, dass Reflexion und Vernetzung im Mittelpunkt stehen, wird immer Enttäuschung generieren: Die Erwartung, Dozierende sollten Wissen in Inputs vermitteln, ist sehr stark. Auch es fürs eigene Lernen wirksamer wäre, anderen Lernenden zuzuhören, eigene Fragen zu stellen, sich Wissen anzueignen, fühlen sich die Belehrung durch Lehrende, Antworten und die Vermittlung von Wissen für viele besser an. Wahrscheinlich, weil das auch den Erfahrungen während der Schulsozialisation entspricht.

Auf einer zweiten Ebene ist wohl die Vorstellung von der Vermittlung selbst zu hinterfragen. Nur die Erfahrungen mit solchen Lernformen können wohl zeigen, welche Effekte erzeugen können – doch damit diese Erfahrungen entstehen, braucht es die Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Lässt sich die künstlich erzeugen? Oder hilft der Hinweis auf die Frage, wie man sich denn letztlich die eigenen Fertigkeiten angeeignet hat?

Ich bin diesbezüglich etwas ratlos – aber der Bedarf ist da. Viele wichtige Lerneinsichten harren der Umsetzung: Die Abschaffung von Hausaufgaben, Noten und schulischer Selektion und eine zeitlich sinnvolle Gliederung von Unterricht sind nur wenige Beispiele, bei denen sich viele Fachleute einig sind.

calvin-hobbes-school

5 Kommentare

  1. schulrat sagt:

    „Die Erwartung, Dozierende sollten Wissen in Inputs vermitteln, ist sehr stark.“ Regelmäßig erlebe ich in Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer diese Erwartungshaltung. Oft beidseitig : die Teilnehmenden wollen konsumieren und die Dozenten wollen dozieren. Wider besseren Wissens oder wider die eigene Unterrichtspraxis? Ich denke, nein. Es ist auch im Unterricht die Regelform: frontal dozierend. Das hat viele Gründe. Beginnend von zu kleinen Räumen, die keine echte Flexibilität der Sozialformen zulassen, bis zu mangelnder Erfahrung und Einübung kollaborativer Formen.
    Dem zu Grunde liegt sicherlich die allzu menschliche Neigung, Konsum der Aktion vorzuziehen (Erfolgsprinzip des TV). Und hier wären wir dann bei dem Thema „Anreize“ angelangt. Wie bringe ich einen Lehrer oder eine Lehrerin dazu, seinen/ ihren Arbeitsablauf zu verändern, außer dadurch, dass er oder sie selbst Handlungsbedarf entdeckt?

    1. Smyddi sagt:

      vielleicht (!) so: nicht mehr desselben, nicht weniger desselben, nicht mehr von anderem, nicht weniger von anderem, sondern ANDERS.

  2. Smyddi sagt:

    Vermutlich können solche Punkte in einem Setting wie „Unterricht“ gar nicht umgesetzt werden. Womöglich geht das einfach nicht. Es ist wie in eine Bäckerei gehen und enttäuscht über die Auswahl an Wurst zu sein. Oder dieser Mann, der durch Zürich läuft und in die Hände klatscht, um die weißen Elefanten zu vertreiben. Das Festhalten an diesem kulturellen Mindet „Unterricht“ und an diesen Möglichkeiten, die es eben nicht bieten kann, ist womöglich das verunmöglichende Moment.

    Womöglich geht „Umsetzung“ ja auch nicht. Womöglich baut die Idee von „Umsetzung“ auf dem Unterrichts-Mindset auf. Auch später dann, wenn CEOs sich und mich anschicken, Strategien umzusetzen. Im Leben ist umsetzen nicht vorgesehen. Es kommt immer etwas anderes raus. Immer. Gottseidank.

    Ich denke wie du, dass solche Ideen nicht vermittelt werden können. Wie auch Wissen nicht, oder irgendwas: Schwimmen. Die Idee, dass wir – via Unterricht womöglich – Menschen etwas vermitteln können (wie Wohnungen oder Jobs), ist Teil dieses Mindsets von Schule, von Unterricht. Das geht aber nicht. Erst recht nicht bei Ideen.

    Und immer, wenn wir versuchen, was Neues oder das Neue anzupacken und die Praxis dadurch anders werden zu lassen, wird es so lange versanden, als wir weiterhin unterrichten und vermitteln und vermitteln und unterrichten.

    Dass so viele Menschen auf Vermittlung pochen, hat für mich mit Gewöhnung zu tun. Tiefsitzende, kulturell gewachsene Gewöhnung. Auch ich habe mich als Kind geweigert, ohne Geschichte oder Lied einzuschlafen. Das war schlicht unmöglich. Nicht zu vermitteln.

    Das heißt aber nicht, dass es nicht auch anders ginge. Oder: dass es eigentlich anders geht. Halt nicht in Form von Unterricht. Oder Vermittlung.

    Lernen gelingt dort am einfachsten, glücklichsten und nachhaltig, wo nicht mehr unterrichtet wird. Das ist meine Erfahrung. Und nur von der mag ich sprechen.

  3. brueedi sagt:

    „Die Abschaffung von Hausaufgaben, Noten und schulischer Selektion …“

    Lernen unterwegs (http://lernenunterwegs.ch) bedeutet das Selbstbestimmen der Lernorte und Lernzeiten und geschieht vorteilhaft „ausser (Schul-) Haus“. Damit, wie du schreibst, im Präsenzunterricht Austausch und Reflexion stattfinden können. In diesem Sinn bin ich für Hausaufgaben.

    Zur Zeit schauen wir Fussball – und erteilen schamlos Noten. Und sind davon überzeugt, dass dieser besser und jener grottenschlecht sei. Und die 2 besten Jungs (nennen sich dann Ronaldo und Bale) stellen sich am schulfreien Nachmittag abwechselnd die Mannschaften zusammen – die letzten beiden hüten das Tor. Und diejenigen, die das partout nicht wahrhaben wollen, fordern die Abschaffung der Selektion.

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