Jeroen Van Rooijen ist »Stilexperte«. Als solcher hat er z.B. eine starke Meinung dazu, wie Lehrpersonen gekleidet werden sollen. Wer es nicht ahnt: Ich teile seine Meinung nicht. Aus meiner Sicht ist es geboten, den Handlungsspielraum von Menschen stets zu erhöhen. Stilvorgaben schränken ihn ein.
In diese Diskussion passt Van Rooijens Manifest für eine digitale Entgiftung: Digital Detox – A Manifesto. Er leitet es mit dieser Überlegung ein:
Im Papierkorb liegen 250 Nachrichten, die im letzten Monat ankamen […] Eine E-mail anständig zu beantworten kostet mich fünf Minuten Zeit, das wären also 150 Minuten, die heute gefordert wären – zweieinhalb Stunden! Das würde heissen, dass ich zu einem Drittel meiner möglichen Arbeitszeit nur kommunizieren müsste – dabei hätte ich noch keine Zeile geschrieben resp. etwas produziert, das für mich auch Ertrag abwirft. Für mich ist das keine Option. Ich will nicht mehr als anderthalb Stunden am Tag e-mailen.
Die Haltung, dass E-Mail nichts Geschriebenes oder ihr Schreiben keinen Ertrag abwerfe, ist für mich grundsätzlich schon eimal widersprüchlich und seltsam. Es sei Van Rooijen zugestanden, sein Leben so zu gestalten, wie er sich das wünscht. Aber auch mit 90 Minuten E-Mail-Schreiben pro Tag müssten 250 Nachrichten pro Monat zu beantworten sein, könnte man denken.
Aber die Digital-Detox-Idee dreht sich nicht lediglich um E-Mails: In der digitalen Sphäre sei, als »würde man sich den ganzen Tag vor dem Spiegel bewundern.« Der Stilexperte hat deshalb sein Umfeld informiert, er würde sich digital zurückziehen und ein Sabbatical eingelegt. Nun sei er »aber wieder fähig, ohne das Gerät aus dem Haus zu gehen«.
Es ist wie eine milde Form von Alkoholismus. Man spielt sie herunter. Deshalb muss man sich Regeln im Umgang mit Digitalem auferlegen. Sonst frisst dieses Monster einen auf. Ich hatte für die Entwöhnung ein Jahr eingeplant, werde aber noch lange benötigen, bis ich clean bin.
Diese Pathologisierung der Kommunikation ist es, was mich an dieser Haltung besonders stört: Eine bestimmte Form von Kommunikation wird zu einem Gift hochstilisiert, zu einer Krankheit, einer Sucht. Zudem sei sie unecht – während der Auszeit habe Van Rooijen nämlich »mit realen Menschen« zu tun gehabt und »wirkliche Freundschaften« aufgebaut.
Dieser digitale Dualismus macht aus der ganzen Detox-Mission ein verunglücktes gedankliches Konstrukt. Auch persönliche Gespräche verkleben uns in gewissen Situationen das Hirn, »eine Krake mit zwölf Köpfen«, deren Nachrichten man nicht so schnell beantworten könne, wie neue reinkommen, sind für mich Rechnungen im Briefkasten, der Small-Talk im Bus, Telefongespräche, forcierte Diskussionen am Arbeitsplatz etc.
Immerhin sieht Van Rooijen ein, dass es sich um die Gedanken einer privilegierten Minderheit handelt:
Luxus ist, wenn man es sich leisten kann, nicht erreichbar zu sein.
No shit. Deshalb sei es einem Stilexperten, der sich eine Auszeit leisten kann, um sich zu überlegen, wie er an »gut bezahlte« Aufträge kommt, nachgesehen, dass er ein falsches und widersprüchliches Konzept propagiert. Aber zu bedauern ist es, dass er anderen Menschen suggeriert, sie seien krank, weil sie mit ihren Mitmenschen im Kontakt bleiben müssen. Menschen brauchen Freiheit, Freizeit, Ferien. Keine Entgiftung.
Das kommt halt raus, wenn man ein esoterisches Schwachsinnskonzept wie „Detox“ nimmt und es auf etwas anderes anwendet: Anderer Schwachsinn.
Viele meiner KollegInnen der Sekundarstufe I sind geradezu stolz, wenn sie „all das“ nicht brauchen. Was dieses „all das“ ist, wissen sie allerdings nur ansatzweise nach dem Motto „man weiss ja, …“
Die Manifestierer haben einfach das Konzept des selbstbestimmten #PLN nicht verstanden. Digitaler Analphabetismus halt.