Privatsphäre – ein Diskussionsbeitrag

Heute darf ich meine Haltung zur Privatsphäre am Social Informatics Day der FH St. Gallen vorstellen. Meine Hauptargumente vorab in einer kurzen Notiz. Ich bin dabei gehalten, eine Position zu vertreten – deshalb sind meine Aussagen selektiv und pointiert formuliert. 

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Privatsphäre ist das Privileg, einen Teil des Informationsflusses kontrollieren zu können. Wäre es ein Recht, müsste wir es Jugendlichen, technisch Unbedarften, Verdächtigen oder Menschen ohne anwaltliche Beratung gleichermaßen zugestehen. Das tun wir aber nicht. Wird der Bankmanager verurteilt, Prostituierte sexuell missbraucht zu haben, steht sein Name nicht in der Zeitung. Entkleidet sich eine Gemeindeangestellte in einem geschlossenen Internetforum, stellt sie der Blick in einer Kampagne an den Pranger. Wer Moneyhouse oder Rechercheprofis gut genug bezahlt, findet über Mitmenschen Dinge heraus, von denen sie nicht wissen, dass sie öffentlich sind.

Bildschirmfoto 2015-10-26 um 16.31.08

Der Irrglaube, Daten oder Informationen verhielten sich ähnlich wie Eigentum, ist weit verbreitet. Es gibt keine Daten, die mir gehören. Es gibt solche, die ich messen und speichern kann, solche, die ich vergesse, erinnere, abrufe. Aber gehören tun sie mir nicht, weil die meisten Daten in sozialen Prozessen entstehen: Andere nehmen mich wahr, speichern und erinnern anderes als ich. Mit ihren Geräten fällt ihnen das oft leichter. Will ich hier die Kontrolle über den Informationsfluss behalten, dann schränke ich andere dabei ein, die Informationen fließen zu lassen. Dieser Konflikt lässt sich nicht einfach auflösen. Verfügbare Informationen sind gesellschaftlich meist besser als geheime. Das zeigt ein Blick auf die Geschichte der Schweiz: Die starke Idee, vieles gehe niemanden etwas an, ist der Grund dafür, weshalb die Schweiz politisch und ökonomisch von einer enormen Intransparenz geprägt ist. Der Skandal, dass die Schweizer Politik von Geldströmen unbekannter Herkunft gesteuert wird, ist eng verflochten mit einer großen Bedeutung der Privatsphäre.

Diese anderen, die meine Daten wollen, sind böse – so denken wir zumindest oft. Es sind Großkonzerne oder Geheimdienste, denen das Wohl der Menschen egal sei. Versicherungen nutzen »unsere« Daten gegen uns – so das Lieblingsbeispiel der Datenschutzlobby. Das Problem sind dabei nicht die Daten, sondern der Zerfall der Solidarität. Der fehlende Versicherungsschutz für Schwache. Das Aushebeln von rechtsstaatlichen Prinzipien. Diese Probleme löst die Datenschutzdebatte nicht.

Im Gegenteil: Sie lenkt den Blick weg von politischer Verantwortung und nimmt Individuen in die Pflicht. Wer Facebook oder Google nutzt, tut das heute meist mit schlechtem Gewissen. Welche Informationen unsere Smartphones weitergeben, können nur noch gut gebildete Profis kontrollieren. Zu meinen, die illegalen Praktiken von Geheimdiensten oder die unmoralischen Geschäftsmodelle großer Firmen seien auf mangelnden Schutz der Privatsphäre zurückzuführen, ist mehr als naiv.

»Wenn du deine Bilder mit Geotags ins Netz stellst, wissen Einbrecherinnen und Einbrecher, wann deine Wohnung leer steht.« Wer hier denkt, die Geotags seien das Problem, irrt sich. Das Problem sind die Einbrüche.

Eine solidarische Gesellschaft sichert allen gleiche Rechte zu, stellt aber auch allen die nötigen Informationen zur Verfügung, um Entscheidungen zu treffen. Sie schützt Individuen gegen staatliche Akteuere und Unternehmen. Dabei schadet der Fokus auf Privatsphäre mehr, als er nützt.

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