Beim Versuch, die Umwelt zu verstehen, werden psychologische Konzepte oft gedehnt und generalisiert. Beim Gefühl, dass die Verbindungen im Netz letztlich oberflächlich seien und Subjektive auch sie selbst zurückwerfen, ist der Begriff des Narzissmus schnell zur Hand.
Die Frage, ob Social Media Narzissmus auslöse oder fördere, wird in der Forschung anders beantwortet als durch das Bauchgefühl der meisten Menschen. In Generation »Social Media« habe ich den Forschungsstand wie folgt zusammengefasst (S. 109):
Eine neue Studie (Privatkopie per Mail erhältlich) zeigt aber, dass auch dieses Fazit falsch sein dürfte. Ein US-amerikanisches Forschungsteam hat mit einer Facebook-Studie nicht nur Fragen zu den Auswirkungen von sozialen Netzwerken beantwortet, sondern auch vertiefte Erkenntnisse in die Eigenschaften von Narzissmus gewonnen.
Sie definieren Narzissmus als ein dynamisches System selbstregulativer Prozesse, bei denen Individuen mit einem übersteigerten, aber verletzbaren Selbstbild versuchen, Aufmerksamkeit und Bestätigung von ihrem Umfeld zu erhalten. Das gelingt ihnen – so der aktuelle Forschungsstand – jedoch nur anfänglich und bei Fremden, weil die anfällig sind für einen oberflächlichen Charme, der bei längerfristigen Beziehungen verfliegt. Narzisstinnen und Narzissten wirken auf den ersten Blick sozial attraktiver als andere.
Diese Einsicht kann in Bezug auf die Facebook-Nutzung bestätigt werden. Narzissmus wurde dabei als moderierenden Faktor betrachtet: Während viele Statusupdates mit vielen Kommentaren respektive Likes positiv korreliert sind, ist das bei narzisstischen Profilinhabern viel weniger stark der Fall, wie die unten stehende Grafik aus der Studie zeigt. Anders formuliert: Wer sein Profil oft updatet, erhält viel Feedback. Bei Narzisstinnen und Narzissten ist das nicht der Fall (bzw. viel weniger stark). Das bedeutet, dass Facebook für narzisstisches Verhalten kein ideales Betätigungsfeld ist, weil es durch abnehmende Interaktionen bestraft wird.
Die Forschungsgruppe hat nun Narzissmus aber noch in einzelne Aspekte unterteilt:
- Anspruchshaltung (»entitlement«)
- Ausnutzung (»exploitativeness«)
- Eitelkeit (»vanity«)
- Überlegenheitsgefühl (»superiority«)
- Exhibitionismus (»exhibtionsim«)
- Kompetenz (»authority«)
- Unabhängigkeit (»sufficiency«)
Dabei wurde deutlich, dass die ersten beiden Aspekte stark steuern, wie viel Feedback narzisstisches Verhalten auf Facebook generieren kann. Die letzten beiden hatten auch bei klarem Vorliegen von narzisstischem Verhalten kaum einen Einfluss darauf, wie Interaktionen auf Facebook verlaufen.
Die Studie zeigt, dass Social Media nicht nur in Bezug auf ihre Auswirkungen auf Menschen interessant sind, sondern auch ein Forschungsumfeld für psychologische Fragestellungen anbieten, in dem differenzierte Einsichten in Zusammenhänge gewonnen werden können, welche sonst kaum beobachtbar sind.
1 Kommentar