Die Mediensozialisation heutiger Heranwachsender ist in einem Maße durch die digitalen Medien geprägt […], dass weder Deutschdidaktik noch Deutschunterricht diesen Sachverhalt (länger) ignorieren können bzw. dürfen. Hinzu kommt der fundamentale Wandel, dem auch die fachlichen Gegenstände des Faches Deutsch – Sprache und Literatur – unterliegen. […] Bewusstmachung, Reflexion und Verarbeitung dieses medial bedingten sprachlichen und literalen Wandels bilden zentrale Aufgaben der Deutschdidaktik und des Deutschunterrichts im Zeichen der Digitalisierung. (S. XI)
Mit dieser Feststellung begründen die drei Herausgeber des dicken Bandes Digitale Medien im Deutschunterricht – Volker Frederking, Axel Krommer und Thomas Möbius – ihr Unterfangen, den Leitmedienwandel theoretisch, methodisch, empirisch und praktisch zu reflektieren. Entsprechend ist der Band in vier Teile gegliedert, die sich jeweils einem Aspekt annehmen. Dabei erstaunt nicht, dass der empirische Teil der kürzeste ist: Es fehlen nicht nur saubere Untersuchungen dazu, wie digitale Medien dabei helfen können, konkrete Kompetenzen auszubilden (Möbius, S. 355); digitale Medien werden im Deutschunterricht vielfach gar nicht eingesetzt. Volker Frederking spricht hier von einer »medialen Leerstelle« im Deutschunterricht:
Weder die digitale Revolution, die […] alle Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen erfasst hat, noch die digitale Verfügbarkeit von audiovisuellen […] Medien haben im Deutschunterricht bislang einen breiten Widerhall gefunden. […] der Deutschunterricht der Gegenwart [ist] weit davon entfernt, die Potentiale der neuen Medien auch nur annähernd [auszuschöpfen]. (S 376f., Schluss ist im Original ein Zitat)
Der Band versteht Mediendidaktik als elementarer Bestandteil der Deutschdidaktik, die dann die Lehre eines medienintegrativen Deutschunterrichts ist, der an die Lebenswelt der Lernenden anschließt, indem er Sprach- und Medienerziehung verzahnt (S. 154f.).

Diese Konzeption, die Frederking und Krommer in ihre Reflexion des Verhältnisses von Deutschunterricht und medialer Bildung entwerfen (S. 150-182), ist mit weitreichenden Fragen nach der Bedeutung von Medienkompetenz verbunden. Der Band besticht dadurch, dass er theoretischen Fragen nicht aus dem Weg geht, indem er sie durch exemplarische Unterrichtssequenzen ersetzt oder durch herkömmliche fachdidaktische Setzungen umgeht. Frederking und Krommer formulieren die entscheidende Einsicht, dass Medienkompetenz nicht einheitlich definiert werden kann, sondern abhängig ist von der Haltung Medien gegenüber:
Was medienkompetentes Verhalten ausmacht, ist beispielsweise abhängig davon, ob man das Verhältnis von Online- und Offline-Sphäre segregationistisch oder integrationistisch versteht, ob man Zugänglichkeit und Öffentlichkeit einer Information gleichsetzt, ob man das Konzept der Filtersouveränität akzeptiert oder ablehnt etc. (S. 175)
In Anlehnung an Michael Staiger kann Deutschdidaktik so als »Medienkulturdidaktik« verstanden werden – eine Auffassung, die Christian Albrecht in seinem Beitrag ausführlich referiert (S. 146ff.) und Staiger selbst in Bezug auf audiovisuelle Medien vertieft (S. 236-268). Begrifflich steht dabei die Symmedialität im Mittelpunkt: Werden Medien mit- und nebeneinander verwendet, so reiben sie sich aneinander, können aber auch verschmelzen. In Abgrenzung zum ästhetischen Begriff der Intermedialität und dem technischen der Medienkonvergenz kann Symmedialität die spezifische Leistung digitaler Darstellung von Medien präziser erfassen und zum Ausdruck bringen, dass unterschiedliche Medien ihre Effekte nicht addieren, sondern in der Verschmelzung einen Zusatznutzen entfalten – man spricht von Emergenz. Im begriffsanalytischen Aufsatz von Frederking wird der Begriff zudem verdankenswerterweise mit dem der Synästhetik in Verbindung gebracht, so dass herausgearbeitet werden kann, dass ästhetischer und medialer Wandel in der Kulturgeschichte meist gekoppelt aufgetreten sind. So wirkten gedruckte Bibeln auf die Menschen des 15. Jahrhunderts zwar als »High-Tech« (Michael Giesecke), erschienen aber gegenüber den farbigen, symmedialen Bibeln aus den Manufakturen als bildleer und monomedial. Daran gekoppelt entwickelte sich die ebenfalls monomediale Kulturtechnik des leisen Lesen; so dass letztlich eine Umkehrung stattfand: Farbigkeit und mediales Nebeneinander galten und gelten plötzlich als oberflächlich.

Während Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer bei der Lektüre in den Band besonders auf die konkreten Unterrichtsvorschläge im Teil D achten dürften, bieten die Grundsatzartikel zu den Methoden, die Teil B versammelt, kompakte Einführungen in die Arbeit mit digitalen Werkzeugen. Drei Beispiele seien hier erwähnt: (1) Martin Leubner zeigt in seinem Beitrag (S. 185-212), wie digitale Literatur im Deutschunterricht zum Aufbau von Kompetenzen genutzt werden kann, wenn etwa erzähltheoretische Probleme in der Untersuchung von Kleists Marquise von O. mithilfe von Suchfunktionen und Tag-Clouds zu untersuchen und so Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, bei der Lektüre eigene literaturwissenschaftliche Hypothesen zu bilden. (2) Ulf Abraham zeigt in einer Auslegeordnung von digitalen Schreibverfahren, was es bedeutet, dass »künftige Grundschulkinder […] nicht nur Schriftlichkeit an sich, sondern auch das digitale Schreiben erlernen« müssen (S. 271). Schreiben, so zeigt sein Beitrag (S. 269-280), bietet in seiner digitalen Spielart umfangreiche Möglichkeiten zur Kollaboration, zur Redaktion von Texten und zu ihrer öffentlichen Publikation. Das Fazit Abrahams:
Insgesamt müssen die elektronischen Medien durch begleitete und reflektierte Nutzung im und für den Unterricht so einbezogen werden, dass neben den fachspezifischen Zielen (»Stoff«) immer auch die Medien der Recherche, Informationsverarbeitung, Präsentation und begleitenden Kommunikation zum Thema werden. Und neben solchen pragmatischen Zielperspektiven sollte es auch solche einer ästhetischen Erziehung geben […], die auch die Möglichkeiten digitalen Schreibens und Gestaltens einbezieht. (S. 284)
(3) Axel Krommer geht in seinem Beitrag auf eine Reihe aktueller Informations- und Kommunikationsmedien ein (Chats, Twitter, Facebook, Google/Wikipedia). Dabei greift er in verknappter und anschaulicher Form grundlegende Probleme auf, die damit verbunden sind; beispielsweise die Frage, was geeignete »Stopping Points« (David Weinberger) für eine Recherche sind.
Krommers aktueller Beitrag weist auf ein Problem hin, das der praktische Teil des Bandes aufweist: Geht es im Beitrag von Fabian Probst und Oliver Schlumpf um das Erstellen von Websites im Deutschunterricht, in dem Schlumpfs um nicht-fiktionale Filme oder Andriatiana Ranjakasoa um vertonte Gedichte, dann sind das alles anregende Beispiele für den gymnasialen Deutschunterricht – aber keine praktischen Beispiele für die Fragen, welche digitale Medien 2014 aufwerfen.
Es bleiben zwei Themengebiete: Soziale Netzwerke, deren Einsatz im Dramenunterricht von Daniel Halbmeier reflektiert wird (S. 532-548), und Computerspiele. Wie Games im Deutschunterricht eingesetzt so eingesetzt werden können, dass sie in ihrer Symmedialität, in ihrer kulturellen Bedeutung und ihrer ökonomische Relevanz differenziert betrachtet werden können, ist eine durchaus brisante Frage – scheint es zwar didaktische Konzepte zu geben, wie das geschehen könnte, aber noch wenige Erfahrungen, wie Stefan Hofer und René Bauer in ihrem umsichtigen Aufsatz festhalten. Als Gründe führen sie mangelndes Interesse, fehlende Ressourcen, Vorbehalte von Eltern oder anderen Lehrpersonen sowie eine fehlende Ausbildung der Lehrpersonen beziehungsweise eine »unzureichende Didaktisierung des Gegenstandes« an (S. 406f.) – wobei gerade der letzte Punkt paradox anmutet: Als digitale Medien sind Computerspiele so stark didaktisiert (sie weisen eine »immanente Didaktik« auf, S. 411), dass sie Flow und echtes Lernen ermöglichen, ohne in einen schulischen Kontext eingebettet werden zu müssen. Sie stellen »komplexe Lehr- und Lernarrangements, die anspruchsvoll sind (und gerade deswegen Spaß machen)« (S. 414). Diese Formel passt auf den ganzen Gegenstandsbereich des Bandes: Digitale Methoden motivieren Lernende nicht, weil sie digital sind und den Einbezug von zeitgemäßer Technologie verlangen, sondern weil sie vielfältige Lernprozesse auslösen. Hofer und Bauer zeigen konkrete Möglichkeiten, wie Literatur- und Computerspielunterricht einander ergänzen, indem sie die ästhetischen Verfahrensweisen sichtbar, analysierbar und reproduzierbar machen. Der Band bietet über diesen Beitrag hinaus weitere Möglichkeiten, Games fachdidaktisch zu reflektieren: So etwa in den Beiträgen von Jan M. Boelmann oder Lambros Zakkas, die wie Hofer und Bauer darauf hinweisen, dass Computerspiele ein sinnvolles Mittel sind, um über Erzählstrukturen und -logiken nachzudenken.
Volker Frederking, Axel Krommer, Thomas Möbius (Hg.) (2014): Digitale Medien im Deutschunterricht (=Winfried Ulrich (Hg.): Deutschunterricht in Theorie und Praxis, Band 6). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
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