Der Einfluss von Technologie: Realität und Ideal

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Führt man eine ideologische Diskussion über Wirtschafts- und Politiksysteme, entsteht früher oder später ein unfairer Vergleich: Die realen Auswirkungen eines unsauber umgesetzten Systems – beispielsweise des Kommunismus vor dem Mauerfall – werden mit den idealen Auswirkungen eines theoretischen Systems verglichen – beispielsweise dem Einhorn-Kapitalismus, der Frieden schafft und Hunger eliminiert.

Dasselbe Problem ergibt sich bei der Diskussion von Social Media und anderen digitalen Werkzeugen: Während Social Media in der Realität zu einer gigantischen Unterhaltungsmaschine geführt haben, die von wenigen sinnvoll genutzt werden kann und an gewissen Orten massiven Schaden anrichtet, werden sie – auch von mir – oft an ihrem Potential gemessen, das sie nur dann entfalten, wenn enorm viele individuelle Nutzerinnen und Nutzer vernünftige Wesen mit hoher Medienkompetenz wären.

Und das Problem begegnet uns gleich noch einmal: in der Schule nämlich. Lehrpläne, Kompetenzbeschreibungen, didaktische Methoden und Theorien, die Planung von Schulen und Lehrpersonen und vieles mehr lassen sich nur Kritik in Bezug auf ihre idealen Umsetzungen gefallen. Keinesfalls dürfen sie an der Realität gemessen werden.

Kurz: Wenig immunisiert so gut gegen Kritik wie der Verweis auf ungünstige Rahmenbedingungen. Kommunismus wäre wundervoll, gäbe es keine korrupte und unfähige Elite, welche Ressourcen verschwendet. Kapitalismus ebenso, würden Staaten keine Spielregeln festlegen. Dasselbe gilt für Technologie und Bildungspolitik.

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Was hilft gegen diese argumentative Falle? Zunächst die Einsicht, dass selbstverständlich eine ungünstige Ausgangslage auch kein Argument gegen eine Theorie ist. Konzepte dürfen davon abhängig sein, wie sie umgesetzt werden – anders ist das ja gar nicht denkbar. Zu dieser Einsicht muss sicher Kritik treten. Der Literaturwissenschaftler Roland Reuss hat in der NZZ heftig die Immunisierungskraft von Social Media gegen Kritik angeschrieben – lesenswert dazu auch Mercedes Bunz über Kritik im Zeitalter der Digitalisierung (kostenpflichtig). Ein Beispiel: Das Problem, dass in vielen westlichen Ländern statistisch gesehen nur Kinder und Jugendliche aus bestimmten Milieus Erfolgschancen haben, wird durch den Einsatz von Technologie – die allen Zugang zu Informationen, Wissen und Bildung verspricht – nicht gelöst, sondern verschlimmert. Die negativen Effekte der Mediennutzung führen – wie schon beim Fernsehen – dazu, dass andere Angebote wie Bildung nicht optimal zur Geltung kommen. Kritik muss diesen Zusammenhang benennen und Lösungen für schwierige Probleme suchen – iPads verteilen hilft dabei nicht.

Selbstverständlich kann Technologie ein Hebel sein, um Veränderungen im Bildungsalltag oder in anderen sozialen Kontexten zu bewirken. Dieser Mechanismus ist aber kein Automatismus, sondern kann nur spielen, wenn ein Problembewusstsein vorhanden ist.

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Zu der zuvor erwähnten Kritik sagt Benjamin Bratton in einem sehenswerten TED-Talk Entscheidendes: TED – also die Veranstaltung, an der inspirierende Rednerinnen und Redner über Technology, Education und Design sprechen – ginge davon aus, dass Probleme Rätsel seien, zu deren Lösung lediglich eine Neuanordnung aller Elemente nötig sei. Die Hoffnung ist dabei meist die, dass Technologie dabei hilft – und Probleme verschwinden, wenn genügen Rechenleistung vorhanden ist. Dabei würde zu viel Aufwand für Dinge betrieben, die nichts bewirkten, aber uns ein gutes Gefühl geben – statt in Ansätze, die funktionieren, aber uns kein gutes Gefühl vermitteln (Minute 11).

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