Rezension: Clive Thompson – Smarter Than You Think

cover-stytClive Thompson ist ein amerikanischer Journalist, der regelmäßig über die Bedeutung von technologischen Veränderungen für das menschliche Leben schreibt. Sein Buch »Smarter Than You Think« von 2013 (bisher nur auf Englisch erschiene) ist eine umfassendere Ausgabe vieler seiner Artikel, in denen er mit den Leuten spricht, die neue Werkzeuge entwickeln, einsetzen oder umnutzen. Er verwendet dafür die Methoden des gepflegten amerikanischen Journalismus gekonnt: Unterschiedliche Perspektiven werden in unterhaltsame Erzählungen verpackt, in denen Anekdoten, ausführliche Gesprächsauszüge und historische Entwicklungen einen Platz finden. Thompson arrangiert Material, nimmt aber auch Stellung, indem er Argumente gewichtet und in Beziehung setzt.

Sein Buch ist in eigenständige Kapitel unterteilt. Thompson zeichnet die Auswirkungen der technologischen Veränderungen durch Internet und portable digitale Geräte nach –  in Hinsicht auf das Gedächtnis, die Politik, die Orientierung im Informationsüberfluss und auf gesellschaftliche Veränderungen.

Das Buch ist von Thompsons klarer Haltung geprägt: Er lehnt »Doomsaying«, also Katastrophenprognosen, dezidiert ab. Sie seien zwar im Diskurs über Technologie weit verbreitet, weil sie Menschen kritisch und intelligent erscheinen lassen, aber als Leitidee gefährlich. Orientieren müssten wir uns vielmehr an Garri Kasparow, der nach seiner Niederlage gegen den Schachcomputer Deep Blue nicht verzweifelt sei, sondern eingesehen habe, dass die Verwendung von maschinellen Verfahren Menschen zu besseren Schachspielerinnen und -spielern mache. »Smarter than you think« sind die Menschen, die Computer geschickt verwenden; d.h. so, dass sowohl Maschinen wie auch Menschen dadurch intelligenter werden. Thompson spricht von Zentauren, also Mischwesen, für die sich die große Herausforderung stelle, wie sich die spezifischen Fertigkeiten und Stärken von beiden Wesen produktiv verbinden lassen.

Zentaur auf einer griechischen Vase, 500 v.Chr.
Zentaur auf einer griechischen Vase, 500 v.Chr.

So widmet Thompson beispielsweise den Erfahrungen von Menschen viel Raum, die so genannte »Wearables« schon seit Jahrzehnten verwenden. Gemeint sind damit tragbare Computer, die mit Kameras und Mikrofone die Umwelt kontinuierlich aufzeichnen können und so eine komplett veränderte Organisation des Gedächtnisses ermöglichen. Ganz allgemein ist die historische Perspektive aufschlussreich und Thompson stellt immer wieder dar, wie neue Möglichkeiten im Umgang mit Informationen und ihrer Speicherung produktiv und destruktiv genutzt worden sind.

Pioniere in den frühen 1990er-Jahren. Screenshot PBS Off Book.
Pioniere in den frühen 1990er-Jahren. Screenshot PBS Off Book.

Wer sich in einem Bereich auskennt – z.B. im Einbezug von Technologie in neue didaktische Konzepte oder darin, wie Graswurzelbewegungen Social Media zur politischen Mobilisierung oder für die Organisation der logistischen Verteilung von Hilfsgütern genutzt haben – erhält von Thompsons Buch immerhin eine kompakte und gut lesbare Zusammenfassung der wichtigsten Einsichten, da sich das Buch nicht an ein Fachpublikum sondern ein eine interessierte Breite richtet. Aber die meisten werden Kapitel finden, in denen unbekannte Entwicklungen präsentiert werden – in den Anmerkungen im Anhang findet sich eine reichhaltige Sammlung an weiterführender Literatur.

Den für mich neuen und interessantesten Aspekten des Buches habe ich während der Lektüre schon eigene Blogposts gewidmet:

  1. Das soziale Gedächtnis zeigt, dass Menschen digitale Speichermedien genau so nutzen wie sie die Gedächtnisse ihrer Mitmenschen schon lange einbeziehen, wenn sie Informationen abrufen.
  2. Thompson weist darauf hin, dass der Umgang mit immer mehr Videos eine neue Art von Alphabetisierung brauchen.
  3. Schon im 17. Jahrhundert haben sich Intellektuelle über die Flut an Büchern beklagt, die es verunmögliche, relevante Informationen abzurufen. Diese Kritik hat dazu geführt, dass Bücher verbessert wurden, sie erhielten Seitennummern und Inhaltsverzeichnisse.

Thompsons Buch ist eine fesselnde Lektüre, weil der Autor belesen ist, kluge Gespräche führt und den eigenen Denkprozess nachzeichnet. Dabei ist er sich nicht zu schade, auch Änderungen in seiner Haltung darzustellen und zu begründen.

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