Pornografie, Gamen – und die Entwicklung junger Männer

In seinem Vortrag und dem zugehörigen E-Book »The Demise of Guys« untersucht der Psychologe Philip G. Zimbardo zusammen mit Nikita Duncan die Fragestellung, warum junge Männer mit immer mehr akademischen, sozialen und romantisch-sexuellen Problemen konfrontiert seien. Die populärwissenschaftliche Argumentation geht von folgender Feststellung aus:

These guys aren’t interested in maintaining long-term romantic relationships, marriage, fatherhood and being the head of their own family. Many have come to prefer the company of men over women, and they live to escape the so-called real world and readily slip into alternative worlds for stimulation. More and more they’re living in other worlds that exclude girls — or any direct social interaction, for that matter.

Selbstverständlich ist Zimbardos Perspektive geprägt von einer normativen Vorstellung von Geschlechterrollen: Genügen Männer nicht einem heteronormativen Ideal einer traditionellen Familie und der Vorstellung der protestantischen Arbeitsethik, wird das als Problem wahrgenommen. Neben diese Kritik an »The Demise of Guys« möchte ich eine zweite Stellen: Zimbardo ist digitaler Dualist, denn er nimmt an, »the so called real world« sei wichtiger als ihre virtuellen Erweiterungen.

Die Problemanalyse verdient trotz dieser gewichtigen Einwände einen zweiten Blick. Neben einer sozialen Analyse (Wandel von Rollenbildern, Betreuungsmodellen, ökonomische Umwälzungen) weist sie auf zwei mediale Einflüsse hin, welche das Leben junger Männer erschweren – und zwar aus ihrer eigenen Sicht: Pornografie und Videogames machten junge Männer zunehmend schüchtern – und diese Schüchternheit zieht weitere unerwünschte Folgen nach sich.

Untersuchungen von Zimbardo und anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben ergeben, dass in den letzten 30 Jahren:

  • soziale Phobien von 2% auf 12% angestiegen sind (Definition: »marked and persistent fear of one or more situations in which the person is exposed to possible scrutiny by others and fears that he or she may do something or act in a way that will be humiliating or embarrassing«)
  • Schüchternheit bei Erwachsenen von 40% auf 58% angestiegen sind (Definition: Menschen bezeichnen sich selbst als schüchtern)
  • Schüchternheit bei Kindern zwischen 8 und 10 Jahren nach Angaben ihrer Eltern von 30% auf 61% angestiegen sind
  • Schüchternheit in Deutschland und den USA mit rund 60% doppelt so stark vertreten ist wie in Israel (30%)
  • Schüchternheit von rund 65% der Betroffenen als persönliches Problem bezeichnet wird.
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Shy, Doc Diventia, society6

Obwohl die Zahlen keinen größeren Anstieg bei Männern als bei Frauen nahe legen, bezeichnet Zimbardo Schüchternheit für Männer aufgrund bestehender Normen als größeres Problem. Sie würden zunehmend eine wichtige Fähigkeit verlieren, nämlich ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht zu führen:

They don’t know the language of face contact, the nonverbal and verbal set of rules that enable you to comfortably talk with and listen to somebody else and get them to respond back in kind. This lack of social interaction skills surfaces most especially with desirable girls and women. (Demise of Guys, The New Shyness)

Warum liegen die Gründe dafür beim Porno- und Videospielkonsum? Es handelt sich um vertraute, kontrollierbare Umfelder. Die große Übung im Umgang mit diesen Medien verschafft jungen Männern eine große Kompetenz und versorgt sie mit regelmäßigen Stimuli, so dass die Eindrücke und Reize von Gesprächen mit Mitmenschen dagegen abfallen. Zudem handelt es sich dabei um unkontrollierbare Situationen mit ungewissem Ausgang, was mit viel Frustration verbunden ist. Es entsteht eine Art Teufelskreis: Je weniger geübt junge Männer in direktem Kontakt und Gesprächsführung sind, desto unbefriedigender verlaufen diese Erfahrungen für sie und desto stärker ziehen sie sich zurück.

Dieser Mechanismus leuchtet ein. Es ist irreführend, an dieser Stelle von Sucht zu sprechen, wie das Zimbardo tut. Mir scheint es wichtiger darauf hinzuweisen, dass Jugendliche sich alternative Handlungsmöglichkeiten erarbeiten sollten: Sie sollten möglichst frei wählen können, ob sie Zeit mit Freundinnen und Freunden verbringen oder vor dem Bildschirm. Tun sie aber nur letzteres, laufen sie Gefahr, ersteres entweder gar nicht zu lernen oder zu verlernen. Schüchternheit wäre ein Indikator dafür.

2 Kommentare

  1. Nikous sagt:

    Regarding birds vs. airplanes:If a light flesh-and-bone bird dents or even puurencts a plane fuselage, then surely the fuselage will have smashed the bird to pieces. This is what Newton’s third law of motion is all about. A bird can’t hit a plane any harder than the plane hits the bird. The force of the collision is equal for both objects, no matter who’s moving! Question is, which object is better able to withstand the collision?Planes as fragile as they are are considerably stronger than bird bodies. In other words, a plane is better able to withstand the force of the collision with a bird, since even a light aluminum airplane is made of materials far more solid than those of our feathered friends. For proof, take a look at what happens to a bird after a collision with an airplane. It ain’t pretty. All that’s left is flesh, feathers, blood, maybe even a beak and claws. The bird is toast.Likewise, an aluminum plane can’t hit the face of the WTC any harder than the WTC hits the plane. Who’s stronger in that collision? Obviously the steel and concrete tower.So to apply the same logic, if the forces of a collision are the same for both objects, then even if an aluminum plane could somehow puncture a hole into the face of a steel-faced skyscraper, the skyscraper would surely beat the hell out of the plane. It certainly wouldn’t be a clean knife-through-butter entry. The 9/11 perps were better off to use real-life cartoons and a mechanism to create the plane-shaped holes. Directed energy, anyone?

  2. Anonymous sagt:

    Dies scheint mir eine sehr reduzierte Sicht der gendergetriebenen Unterschiede zu sein. „Statt den Männern ihre emotionale Unfähigkeit einzuhämmern, sollten wir Modelle emotionaler Männlichkeit heraufbeschwören, die nicht auf sexuellem Kapital beruhen.“ (Eva Illouz: Warum Liebe weh tut, Suhrkampf 2011) Ohne diese luzide historisch-soziologisch herausgearbeitete Dimension heutiger Männer-Problematik, sind all diese Einzelaspekte fokussierenden Studien eindimensional und wenig erklärend.
    Peter Sigerist

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