Rheingold liefert in seinem Buch eine Anleitung für eine digitale »literacy«, also eine Lese- und Medienkompetenz (für »literacy« gibt es die deutsche Übersetung »Literalität«, die sehr ungelenk klingt; gemeint ist aber ursprünglich sowas wie Lesefähigkeit). Das besondere an heutigen Formen von literacy ist, so Rheingold, dass es nicht nur eine Kompetenz ist, sondern gekoppelt an die Anforderung ist, sie in Zusammenarbeit mit anderen Menschen zu nutzen.
Ich habe zentrale Aspekte von Rheingolds Buch schon einzeln dargestellt:
- Aufbau von Personal Learning Networks
- Infotention – die Fähigkeit, sich im Informationsfluss zu orientieren
- Wie aus Medienkonsum Lernprozesse entstehen.
Rheingolds Buch empfiehlt sich als Lektüre für digital interessierte Lehrpersonen, weil es sehr praktisch geschrieben ist. Rheingold verweist zwar auf viele theoretische Texte, zitiert aber sehr präzise und weiterführend und fasst die zentralen Thesen immer wieder in Listen und Anleitungen zusammen, die einem aufzeigen, wie man die beschriebenen Kompetenzen Schritt für Schritt aufbauen kann: Für sich selber und im Unterricht auch bei Lernenden.
Bevor Rheingold die wichtigsten Kompetenzen zusammenfasst, zitiert er einen Rat von danah boyd, der sehr aufschlussreich ist:
[Übersetzung phw:] Wenn ich mit Eltern spreche, rate ich ihnen, sich nicht auf die technischen Aspekte zu beziehen, sondern auf die Themen, die sie als Eltern beschäftigen. Kommunikation ist zentral. Wenn Eltern ihren Kindern helfen wollen, die Herausforderung der Technik zu meistern, ist Kommunikation das wichtigste Hilfsmittel. Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Wenn einen etwas beschäftigt oder man wissen will, warum das Kind etwas tut, was man nicht versteht, einfach nachfragen. Wenn sie erzählen, sollte man versuchen, ihre Perspektive zu verstehen – und dann mitteilen, warum man eine andere einnimmt. […] Man sollte versuchen, im Dialog zu bleiben. Das Schlimmste, was Erwachsene tun können, ist zu sagen: »Tu das nicht. Das ist schlecht für dich. Das geht so nicht.« Dann schalten Jugendliche ab. Es ist wichtig, Gelegenheiten zu schaffen, um über Themen zu sprechen. Ich gebe meist einen Rat an Erwachsene: Hört zu. Wenn man das tut, merkt man, dass viele Jugendliche vor denselben Schwierigkeiten stehen, die auch Erwachsene wahrnehmen.
Die Gemeinsamkeiten von Erwachsenen und Jugendlichen sind größer, als man denken könnte. Es ist also entscheidend, die eigenen Lernprozesse und die von Kindern und Jugendlichen zusammen zu denken. Erwachsene und Kinder brauchen dieselben Kompetenzen, nämlich:
- Training und Fokussierung der Aufmerksamkeit.
Rheingold empfiehlt, die eigene Atmung zu beobachten und andere genau zu beobachten, im Zusammenleben präsent zu sein. Zudem ist es wichtig, die Aufmerksamkeit bewusst zu trainieren, immer wieder sinnvolle Muster zu wiederholen, um sie einzuüben. Wichtig ist auch zu wissen, was man will, welche Ziele man verfolgt. - Die Fähigkeit, Unsinn und Unwahres erkennen zu können.
Rheingold nennt das »crap detection«. Wer suchen kann, kann Relevantes von Irrelevantem unterscheiden. Wichtig ist dabei, dass man eine Vorstellung von einem sinnvollen Resultat hat, weiß, wer sich kompetent äußern kann und wie man mehrere Quellen in einen Bezug zueinander setzen kann. Man muss im Internet detektivische Fähigkeiten entwickeln. - Partizipation.
Social Media ermöglicht Teilnahme und Teilhabe an wichtigen Prozessen. Man kann sich äußern und ein Publikum finden. Partizipation muss eingeübt werden, auch ausprobiert. Neue gesellschaftliche Formen sind möglich, wichtig ist aber auch ein Bewusstsein für Umgangsformen und Privatsphären. - Zusammenarbeit.
Kommunikation bezweckt immer Kooperation. Gut kooperieren bedingt, dass man Inhalte teilt, anderen vertraut, mit gutem Vorbild vorausgeht. Wichtig ist aber auch, Regeln transparent zu machen und andere einzuladen, mitzumachen. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen, dass die kollektive Intelligenz einer Gruppe weder vom durchschnittlichen noch vom höchsten IQ der Mitglieder abhängt, sondern von der Diversität der Gruppe und von ihrer Fähigkeit, sich im Reden abzuwechseln. - Netzwerkkompetenz.
Vertrauen aufbauen und Gegenseitigkeit zu fördern ist eine Kompetenz. Man muss anderen Gefallen tun, um Gefallen erwarten zu können. Wichtig ist aber auch, Netzwerke verbinden zu können und soziale Interaktion mit Small Talk und Freundlichkeit zu pflegen.
Rheingold Buch ist zu empfehlen. Man kann mit Gewinn auch nur Auszüge lesen, sein Stil ist unkompliziert, nicht-akademisch und seine Aussagen sehr konkret und praxisbezogen.