Lehr- und Lernrollen in einer Kultur der Digitalität

Die Grenze zwischen Lernenden und Lehrenden ist fließend im Netz. 

Dejan Mihajlović – Lernen in der Postdigitalität

Als ich über diesen Satz gestolpert bin, habe ich mir überlegt, wie die Rollenverteilung und die Rollenwechsel genau aussehen. Resultat dieser Reflexion sind drei Thesen, die ich im Folgenden kurz umreiße. Ich habe sie auch in einem kurzen Video erklärt.

Die Ausgangslage: Feste Rollen

In der Buchdruckkultur ist Wissen knapp. Lehrende machen es für Lernende zugänglich, erklären seine Systematik und Bedeutung. Lernende sind auf Lehrende angewiesen, es entstehen starke Abhängigkeiten und Machtverhältnisse.

These 1: Im Netz sind alle Lernende

Das Netz enthält nicht nur mehr Wissen als jedes Buch (weil Bücher komplett im Netz abgebildet werden und ergänzt werden durch Daten und Informationen) – es führt auch zu ganz unterschiedlichen Praktiken im Umgang mit Wissen und Information. So ist es für alle Nutzer*innen Alltag, sich in Nischen vorzufinden, wo Dinge unklar und unverständlich sind. Auch Fachpersonen müssen lernen, wie sie ihr Fachwissen im Netz kommunizieren können – und sie werden im Netz andere Perspektiven auf das Gebiet ihrer Expertise finden, die lehrreich sein können.

Wer das Netz für Wissensarbeit nutzt, lernt ständig dazu.

These 2: In der Kultur der Digitalität ergeben sich temporäre Lehr-Lern-Beziehungen

Die Idee des Persönlichen Lernnetzwerks besagt, dass Lernende im Netz informelle Netzwerke aufbauen, indem sie mit Mitlernenden und Lehrenden interagieren. So finden sie immer wieder Profile (oder auch Communities oder Programme), mit denen sie Lehr-Lern-Beziehungen eingehen – für die Dauer eines Lernschritts, manchmal aber auch länger.

Nehmen wir an, ihr wollt lernen, wie man einen Podcast macht. Dazu folgt ihr den Twitter- und Instagram-Profilen der Menschen, die eure liebsten Podcasts machen, schaut ihnen zu und stellt vielleicht auch mal eine Frage. Gleichzeitig erprobt ihr aber auch Software, macht Aufnahmen mit einem Mikrofon, schneidet eine erste Podcast-Folge zusammen etc. Mit der Zeit versteht man, wie Podcasts funktionieren, kann eigene aufnehmen – und sucht sich vielleicht neue Lehrende, die einem zeigen können, wie man die Reichweite eines Podcasts ausbauen kann oder eine Podcast-Staffel mit einem Spannungsbogen versehen kann etc.
(Hier eine Einführung von mir zu Podcasts.)

These 3: Im Netz können alle zu Lehrenden werden

Wer etwas gut kann, versteht oder Wissen hat, erhält in digitalen Kontexten die Möglichkeit, die Rolle von Lehrenden einzunehmen. Alle können Lehrangebote unterhalten. Diese unterscheiden sich deutlich von der Situation, in welcher die Mathelehrerin einen Schüler an die Tafel ruft, der mal der Klasse erklären soll, wie der die Aufgabe gelöst hat: Die Lehrangebote entstehen freiwillig und nicht innerhalb solcher Machtstrukturen. Sie können sehr spezifisch sein: Eines meiner liebsten Beispiele, über das ich kürzlich etwas ausführlicher geschrieben habe, sind die TikTok-Tanzvideos von Kelli Erdmann. Sie findet innovative Formate und erklärt Zuschauer*innen, wie sie die Videos gemacht hat.

@happykelli

Ask any questions in the comments! 😊😀#fyp #tutorial #goodvibes #buttercup u/chanchicachan

♬ original sound – HappyKelli

Fazit

Alle sind im Netz Lernende und Lehrende zugleich – indem sie informell in Lehr-Lernbeziehungen eintreten, sie aber auch wieder verlassen können.

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