Nein. Analog ist nicht das neue Bio.

Gerne würde ich ein Buch mit dem Titel Digitaler Nonsense schreiben. Es enthielte Begriffe, Argumente und Narrative, mit denen die Digitalisierung immer wieder beschrieben wird, die aber nur in die Irre führen, Zusammenhänge verzerren, manipulieren.

Andre Wilkens‘ Gedankengänge, mit denen er die These belegen will, wonach Analog (als Substantiv verwendet) »das neue Bio« sei, also eine Analogbewegung denkbar sei, die dann der Gesellschaft eine Reflexion über den Umgang mit digitalen Daten aufzwingt, würden im Buch ein eigenes Kapitel erhalten. Sie sind so unsinnig, dass ich beim Schreiben dieses Beitrags mehrmals Lust hatte, sie zu parodieren, statt einer ernsthaften Kritik zu unterziehen.

Analog ist nicht nur keine Überwachung, kein digitaler Konsumterror, kein automatisierter Staat mit automatisierten Bürgern, sondern Analog steht auch für eine selbstbestimmte Lebensqualität und Lebenskultur. Vielleicht auch einfach für Glück.

Nach diesem Muster funktioniert der ganze Essay (der mir jedes Interesse am Buch genommen hat): Die Vorstellung, die Welt gesunde an analogen Handlungen. Darauf, dass uns jemand erzählt, wie wir zu Lebensqualität, -kultur und Glück finden, warten wir natürlich schon lange. Dass es ausreicht, Dinge analog statt digital zu erledigen, wäre uns aber wohl deshalb nicht in den Sinn gekommen, weil wir wie Wilkens durchaus analoge Zeiten erlebt haben.

Aber ist es schon Nostalgie, wenn man lieber mit Menschen redet als mit Maschinen, wenn man lieber selber Fehler macht als fehlerlos von Algorithmen durchs Leben gelenkt zu werden?

Nein, das ist keine Nostalgie, sondern eine falsche Vorstellung der Digitalisierung. Weder reden Menschen bevorzugt mit Maschinen noch machen sie keine Fehler mehr. Sie werden auch nicht deshalb überwacht, weil sie ihr Leben »wegdigitalisiert« haben, sondern weil Geheimdienste, seit es sie gibt, alle Mittel ausschöpfen.

Dort kippt die Argumentation dann in einen politisch ärgerlichen Bereich: Als ob die Einstellung einzelner dazu führe, dass Kontroll- und Überwachungsmechanismen digitale Kommunikation beeinflussen und beeinträchtigen. »Wenn dies genug Menschen tun, werden wir damit, als analoges Netz sozusagen, auch digitale Standards beeinflussen«, schreibt Wilkens. Nein, werden wir nicht – schon deshalb nicht, weil nicht einmal der Autor weiß, was »dies« ist. »Theater, Bibliotheken, Museen wertzuschätzen«, »aktives Weiter- und Andersmachen«, »Dinge ohne Netzanschluss und Wi-Fi« – das sind noch die konkretesten Handlungsanweisungen.

Analog ist nicht das neue Bio. Daten sind keine Lebensmittel, Geheimdienste keine Landwirtschaftsbetriebe, Nahrungsaufnahme keine Kommunikation, Algorithmen keine Gene, die digital detox einiger privilegierter Menschen kein Widerstand gegen wirtschaftliche Zwänge.

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Das Buch gäbe es hier. Falls es doch jemand lesen will.

12 Kommentare

  1. Seit Varoufakis Fingerzeig sind wir ja möglicherweise für Zitate und Zusammenhänge etwas senisibler. Zum Beispiel schreibt der Analog-Autor ja auch: „Es geht nicht um die Abschaffung von Digital, und zurück zu Analog, sondern um eine humane Gesellschaft, die digital und analog ist.“

    Die digitale Vernetzung als ein Mittel sehen, das wir gestalten können. Bis hin zur Option eines partiellen Verzichtes. Anstatt uns wechselseitig zu dessen totaler Nutzung zwingen zu sollen. Und statt immer nur staunend einen unausweichlichen Sachzwang auslegen zu wollen. Weil diese Naturgewalt angeblich alternativlos ist.

    Darum könnte es ja legitimerweise in so einem Bio-Buch gehen, also um eine Suche nach deem menschlichem Maß für eine Entwicklung voller Chancen und Risiken. Was ich für eine wichtige Diskussion hielte. Wohlgemerkt: Diskussion.

    Natürlich habe ich auch den Verdacht, dass Andre Wilkens Reklame für ein ganzes Buch macht, wo schon fast der eine Artikel reichen würde. Deshalb würde ich auch lieber auf das Werk „Digitaler Nonsens“ des Blog-Gastgebers kaufen. Dort könnte ich dann ausführlicher erfahren, warum die These vom sachten Abbremsen des digital-vernetzten Lebensstils so viel Ärger auslöst, nicht nur hier.

  2. Struppi sagt:

    Danke, auf die Idee auf den unterstrichenen Text zu kjlicken bin ich nicht gekommen, ich habe den Unterstrich nicht als Link wahrgenommen, daher dachte ich der Orginalartikel ist nicht online verfügbar.

    Jetzt habe ich ihn gelesen. OK, er ist „technisch unbedarftt“, aber insofern ist er interessant, letztlich wird einem von technischer unbedarfter Seite seit Jahren erkläört, wie wichtig das Internet wäre, aber viele merken, dass es oft mehr zerstört als es nutzen hat. Die stellen sich vermutlich die Fragen die im Artikel erörtert werden. Die, die glücklich in der FB und Twitterwelt leben, werden dies nicht tun.

    Für mich klingt die Fragstellung eher interessant und es ist eine Sichtweise, die im Internet nur schwer zu finden ist (seltsamerweise im RL häufiger – zumindest ich kenne mehr Internetverweigerer als Menschen die aktiv bei Twitter sind)

  3. Max sagt:

    Analogkäse in Buchform. Oder als Digitalkäse als Ebook.

  4. Jean Baptiste sagt:

    Ich halte das für reine Trittbrettfahrerei; da wird ohne jeden intellektuellen Aufwand ein schwafeliges Phrasen- und Thesenbuch zusammengekloppt, weil man denkt, dass es „Zeit“-Lesern nach dem Mund redet. Kein Wunder, dass der Essay dort erschienen ist. (Warum dem ersten Kommentator nicht klar sein will, was hier kritisiert wird, ist mir rätselhaft – die Zitate sprechen Bände.)

    Das ist geistiges schnelles Geld und wäre eigentlich keiner fundierten Kritik wert – wenn es nicht die Reichweite der „Zeit“ hätte.

  5. struppi sagt:

    Ich kenne die Thesen nicht im Orginal, aber deine Kritik ist sehr plakativ (digital?) ohne das Erkennbar wäre, was du kritisierst. Der Gedanke, dass „analog“ als Abstraktionsbegriff eine Gegenbewegung zur „Digitialisierung“ (ebenfalls abstrakt) ist, halte ich für interessant.

    Um einen Gedanken aus deinem Artikel aufzugreifen, natürlich kann man argumentieren dass die „Digitalisierung“ – wie sie im Zuge der „Web2.0“ Bewegung stattgefunden hat – zu mehr Überwachung geführt hat und das Ermittlungsbehörden mittlerweile Facebook als Fahndungsmittel nutzen ist auch nur möglich, weil die Menschen in ihrer ditialen Welt freizügig Informationen verbreiten. Sie machen es also möglich überwacht zu werden, weil sie selbst diese Daten preis geben.

    Insofern bleibt deine Kritik so wage, wie du es dem Autor vorwirst. Es bleibt das Gefühl – zumindest bei mir – dass die These „Analog ist das neue Bio“ gar nicht so dumm ist.

    1. Dann müsste aber klar werden, was Analog meint. – Zum Beispiel: Mit Überwachung meine ich nicht FB-Infos. Eher: Jede Post-Filiale wird videoüberwacht, jeder Brief (von aussen) gescannt. Jeder (analoge!) Brief erzeugt eine Datenspur. Dieses Problem löst Briefeschreiben nicht.

      1. Struppi sagt:

        Ja das müsste es.

        Wie gesagt ich kenne die Thesen nicht im Orginal, ich habe nur Anhand deiner Intepretation eine eigene versucht.

        Aber du schreibst es ja eigentlich noch mal selbst.

        Die Postfiliale wird überwacht, aber ich gehe nicht hin und halte meinen Ausweis in die Kamera. D.h. ich verhalte mich nicht „digital“
        Das der Brief digitalisiert wird – zumindest die Metadaten – hat auch zunächst nichts mit dem eigenen (analogen) Verhalten zu tun. Zumindest denke ich, dass es nicht darum geht die Kommunikation einzustellen, weil es eine Überwachung gibt, sondern die Kommunikation so umzustellen, dass sie möglichst schwer digital protokolliert werden kann

        Für mich wäre diese These sinnvoll, wenn es darum ginge das Bewusstsein zu schaffen, dass die Digitalisierung dazu führt, dass das Verhalten in dem Kontext (Kommunikation), dazu führt das Andere mehr über einen Wissen als einem selbst klar ist. Daher ist der Verzicht auf Digitalisierung ein Gewinn über die Hoheit der eigenen Daten.
        Das hat durchaus Ähnlichkeiten mit der Biobewegung der 70-80’er, wo es auch darum ging durch Verzicht, eine Verbesserung der rein industralisierten Nahrungsherstellung zu entwicklen.

        Insofern fand ich deine Argumentation sehr kurz gegriffen und auch sehr unbegründet – du sagst ja einfajch nur „Nein das ist nicht so“ und wie ich dir anhand des Fahndungsbeispiel gezeigt habe, stimmt deine Argumentation ja nicht. FB wird überwacht weil die Leute dort ihr Leben preisgeben und nicht weil die Geheimdienste es dazu entwickelt hätten.

      2. Jean Baptiste sagt:

        @Struppi: (aus irgendeinem Grund gibt es keinen „Antwort“-Button unter dem Beitrag)

        Die Postfiliale wird überwacht, aber ich gehe nicht hin und halte meinen Ausweis in die Kamera. D.h. ich verhalte mich nicht “digital”
        Das der Brief digitalisiert wird – zumindest die Metadaten – hat auch zunächst nichts mit dem eigenen (analogen) Verhalten zu tun. Zumindest denke ich, dass es nicht darum geht die Kommunikation einzustellen, weil es eine Überwachung gibt, sondern die Kommunikation so umzustellen, dass sie möglichst schwer digital protokolliert werden kann

        Für mich wäre diese These sinnvoll, wenn es darum ginge das Bewusstsein zu schaffen, dass die Digitalisierung dazu führt, dass das Verhalten in dem Kontext (Kommunikation), dazu führt das Andere mehr über einen Wissen als einem selbst klar ist. Daher ist der Verzicht auf Digitalisierung ein Gewinn über die Hoheit der eigenen Daten.
        Das hat durchaus Ähnlichkeiten mit der Biobewegung der 70-80’er, wo es auch darum ging durch Verzicht, eine Verbesserung der rein industralisierten Nahrungsherstellung zu entwicklen.

        Diese Gedanken haben allerdings in ihrer Komplexität nichts mit dem verlinkten und zitierten Text gemein. Hier wird ein phrasenhafter und technisch unbedarfter Text besprochen – das bedeutet nicht, dass es keine durchdachte Kritik an Digitalisierung geben kann.

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