Das Missverstehen eines Zusammenhangs ist oft dasselbe wie ein annäherndes Verständnis. Das trifft auf einen Artikel von Adrian Lobe zu, der in der FAZ wichtige Erkenntnisse von Zeynep Tufekci zusammenfasst:
Die Algorithmen, die bestimmen, welche Inhalte den Usern auf großen Plattformen wie Facebook angezeigt werden, sind intransparent. Black Boxes sind sie. Das bedeutet, dass diese Programme redaktionelle Entscheidungen fällen, indem sie die Beiträge anderer User hervorheben, verstecken oder ganz ausblenden. Das geschieht vorgeblich deshalb, weil die Nutzung von Facebook und anderen Plattformen auf Interessen zugeschnitten werden soll – tatsächlich aber deshalb, weil die Kundinnen und Kunden möglichst lange auf der Seite gehalten werden sollen, damit sie sich Werbung ansehen. Politische Kommunikation wird von diesen Mechanismen ergriffen, was letztlich zu einem Verlust von Transparenz und der Möglichkeit der Manipulation des politischen Willens durch Algorithmen führt.
Das alles stimmt. Lobe nimmt aber zwei entscheidende Ergänzungen vor, die seinen Text ebenfalls manipulativ machen. In der Einleitung fragt er: »Aber bilden soziale Netzwerke die Realität auch immer so ab, wie sie ist?« Damit suggeriert er, dass andere Medien die Realität tatsächlich adäquat abbilden würden. Abgesehen davon, dass das rein erkenntnistheoretisch kompletter Unsinn ist, ist auch die Implikation falsch, die Auswahl von Inhalten sei prä-Social-Media transparenter oder weniger manipulativ gewesen. »Der Nutzer sitzt im Silo sozialer Netzwerke und ist manipulierbar«, schreibt Lobe. Und zuvor? Da saß er im Silo seiner Tageszeitung und der Tagesschau.
Der zentrale Punkt von Tufekcis Studien ist nicht die Verzerrung der Realität oder ein düsteres Menschenbild, sondern eine Analyse der Personalisierung durch Algorithmen.
Würde man ein ideales Informationsmedium konstruieren wollen, so müsste man dem User die Kontrolle darüber geben, welche Inhalte aus welcher Quelle er wahrnehmen will. Das tut Twitter in der Regel, Facebook und die FAZ tun das aber nicht.
Hehe… gute Replik auf diese eigenartige Filterbubble-Analyse. Ich denke auch, dass die beiden Systeme sehr schwer vergleichbar sind. Auf der einen Seite gibt’s online nur eine Handvoll großer Player, auf der anderen Seite kommen die ganzen Mikrokanäle dazu, die in Summe schon auch einiges ausmachen. Aber wie man das gegeneinander „aufrechnen“ kann und ob, ist schwer zu beantworten.
Hab da kürzlich auch was dazu geschrieben ► http://datadirt.net/569y
Deine Analyse unterliegt ebenfalls einer wichtigen Prämisse: „Informationverarbeitung und – verbreitung im Netz ist ebenso pluralistisch organisiert wie im Print oder den Telemedien“. Der Unterschied ist, dass es im Wesentlichen zwei große Player im Netz gibt. Die Bubble ist im Print genau so vorhanden wie im Netz. Die Akkumulation von Kontroll- und Einflussmöglichkeiten ist (noch) grundlegend anders.