Beim ersten Aufschlagen dieses Buches – und dieses »Aufschlagen« bedeutete, dass ich auf Twitter einen Link zur Leseprobe (pdf) anklickte und mich festlas – wurde mir klar, dass ich auf ein solches Buch gewartet hatte. Es geht der »Sprachumbildung in (hoch-)technischen Umgebungen« (S. 28) nach – deshalb handelt es sich um ein historisches Wörterbuch. Zu lesen ist es aber nicht als Lexikon, sondern als eine »Wort- und Sachgeschichte«, in der technische Entwicklungen und ihre Beschreibungen gekoppelt werden. Gegenstand ist dabei der Mediengebrauch:
Ein Wörterbuch, das ‚die Medien‘ systematisch und begrifflich in Ansichten von Formen und Operationen ihres Gebrauchs auffächert, welche gleichzeitig umfassend und womöglich vergleichend historisch hergeleitet werden. Damit kann ein bestimmter Effekt erzielt werden: Mediale Aktivitäten, die normalerweise ganz in der Aktualität eines spezifischen technischen Standards aufzugehen scheinen (bzw. als überkommen gelten), erhalten ihre Geschichte (bzw. ihre Gegenwart) zurück. Durch die Annäherung über die Formen des Gebrauchs wird vermieden, dem Wortfeld schon klar abgezirkelte, theoretische oder historische Konturen zu verleihen […] (S. 17)
Verdeutlicht werden kann das an einem Beispiel: Der erste Beitrag gehört zum Lemma »abhängen«. Jannes Schwentuchowski umreißt dabei die Diskussion über Internetabhängigkeit, indem er sie an ähnliche Diskurse anschließt, in denen die Fernseh- und Lesesucht im Mittelpunkt standen. Das geschieht einerseits über die Repräsentation von Internetsucht in unterhaltenden Narrativen wie South Park, andererseits aber auch über eine prägnante Zusammenfassung und Kritik der (populär-)wissenschaftlichen Erkenntnisse. Auch wenn ich mit seit Jahren mit solchen Fragen beschäftige, war die Lektüre dieses Kapitels gleichermaßen aufschlussreich wie erbaulich. Lobenswert ist die Bereitschaft, ausgetretene Denkpfade zu verlassen: Die Frage, ob die Abhängigkeit mit dem Verhalten des »Abhängens« von Jugendlichen in einem Zusammenhang steht, erweist sich als überraschend aufschlussreich.
Das Kapitel setzt das Programm der Herausgeber präzise um:
Wir würden die Mediengeschichte besser begreifen, wenn wir uns von der starren Opposition von Buchkultur und Internet lösen. Und stattdessen beginnen würden, den Verbindungslinien nachzuspüren – zwischen den Kulturtechniken der Digitalisierung und denen der Papiertechnologie. (S. 14)
Jedes Kapitel ist gleich aufgebaut: Es beginnt mit einer exemplarischen Anekdote, fasst die Wortherkunft zusammen, diskutiert Kontexte, Konjunkturen und Gegenbegriffe, eröffnet Perspektiven und schließt mit einem Kommentar zur Forschung.

Die gut 40 Abschnitte sind nicht nur klar strukturiert, sondern auch flüssig und eigenständig zu lesen. Sie sind reicht mit Verweisen auf Forschungsliteratur versehen, so dass sie einen idealen Ausgangspunkt für eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fragen des Mediengebrauchs abgeben.
Leider gelingt es den einzelnen Autorinnen und Autoren selten, auf einen akademischen Sprachgebrauch zu verzichten. So ist das Wörterbuch weniger zugänglich, als es wünschbar wäre: Es gehört auf den Nachttisch des Feuilleton-Publikums, an die Öffentlichkeit, die sich noch nicht bewusst ist, dass es bald nur noch eine digitale geben wird. Die wird aber wohl auch durch den stolzen Preis von 70 Euro abgeschreckt. So reflektiert das Wörterbuch zwar den Mediengebrauch hervorragend, bietet sich aber zum eigenen Gebrauch zu wenig an.
Historisches Wörterbuch des Mediengebrauchs.
1 Kommentar