Gestern stellte ich »Mut zu neuen Medien« (pdf) an einer Fachtagung des Deutschen Philologenverbands in Kassel vor (Folien gibt’s hier). In der Diskussion stellte eine Lehrerin die Frage, mit welcher Systematik ich denn die Auswirkungen des Einsatzes von Neuen Medien auf den Unterricht erfassen würde.
Die Frage überforderte mich im ersten Moment – auf der Rückfahrt in der Bahn erkannte ich dann auch weshalb. Meine einzige Systematik besteht in der Reflexion von Projekten: Ändere ich etwas an meinen Unterrichtsmethoden, bitte ich die Schülerinnen und Schüler über ihre Lernprozesse nachzudenken, tue das selbst, oft auch im Gespräch im Lehrerkollegium und diskutiere dann mit den Klassen diese Auswertungen (zum Beispiel bei diesem Blogprojekt). Daraus resultieren laufend Anpassungen.
Bei der Frage nach einer Systematik dachte ich sofort an die Meta-Studie von Hattie, der systematisch Effekte berechnet hat, die einzelne Unterrichtsmassnahmen in Bezug auf den Lernerfolg nach sich ziehen.

Für »Computer Assisted Instruction« ergibt sich bei Hattie eine Effektstärke von 0.37. Daraus könnte man schließen, dass Lehrpersonen vieles an ihrem Unterricht verbessern können, um eine größere Wirkung zu erzielen – der Einsatz von Computern sollte dabei aber keine Priorität genießen.
Der Effekt des Computereinsatzes lässt sich verstärken, wenn folgende Bedingungen eingehalten werden:
- Lehrpersonen werden auf den Medieneinsatz vorbereitet
- das Lernangebot umfasst vielfältige Lernmöglichkeiten, z.B. in Bezug auf Zeiteinteilung
- Schülerinnen und Schüler kontrollieren den eigenen Lernprozess (z.B. Auswahl von Aufgaben)
- Peer Learning wird unterstützt
- es sind Feedbackmöglichkeiten vorhanden.
Gleichwohl ist Hatties Fazit durchzogen: Auch ohne Computer könnten Lehrpersonen mit geeigneten Mittel gleich wirkungsvoll unterrichten (Visible Learning, S. 20).
Doch diese Sicht ist sehr eingeschränkt. Der Einsatz digitaler Werkzeuge erfolgt in einem komplexen Kontext. Er beeinflusst verschiedene Faktoren, die einen großen Einfluss auf den Unterrichtserfolg haben. Wer beispielsweise intensiv mit Social Media arbeitet, wird um formative Beurteilungsformen, Feedback und Selbstevaluation nicht herumkommen – alle drei Effekte befinden sich unter den Top10 von Hatties Effektliste.
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In diesem Sinne hat der Medienpädagoge Bardo Herzig in einer Studie (pdf) die Frage untersucht, wie wirksam digitale Medien im Unterricht seien. Die Lektüre des kurzen Papiers ist lohnend, im Folgenden fasse ich die Kernaussagen zusammen.
Herzig betont die Komplexität der untersuchten Frage. Wirkung kann nur innerhalb einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren bestimmt werden, wie auch seine Abbildung 1 zeigt:

Der Medieneinsatz ist, so das Schlüsselwort, mit Wechselwirkungen verbunden, weil es sich um »dynamische, hochkomplexe Prozesse« handle, die sich im Unterricht abspielen (S. 10f.). So können Effekte sich Effekte bei Individuen einstellen – d.h. bei Schülerinnen und Schülern – aber auch bei Gruppen, also Klassen.
Auf einer individuellen Ebene lassen sich Lerneffekte hauptsächlich dann feststellen, wenn Informationen multimedial präsentiert werden (S. 12f.). Der Medieneinsatz wirkt sich meist aber auch auf die Motivation, Kooperation, Medienkompetenz und die Selbststeuerung auf, beeinflusst also überfachliche Kompetenzen stark.
Abhängig sind diese Effekte aber von der Art des Einsatzes digitaler Werkzeuge im Unterricht. Es sind zwei Pole auszumachen: (1) Die Integration von digitalen Medien in traditionelle Unterrichtsformen, so dass sie letztlich Wandtafel und Overhead-Projektor ersetzen, aber nicht mehr bewirken. (2) Die Ausrichtung auf einen problemlösenden, selbstgesteuerten Unterricht am Computer.
Betrachtet man die Ergebnisse der Bitkom-Studie, so zeigt sich zumindest für Deutschland eine klare Tendenz um ersten Pol:

Herzig unterscheidet fünf Typen von Lehrpersonen, was den Einsatz digitaler Hilfsmittel im Unterricht betrifft:

Abschließend hält Herzig fest, welche Schülerinnen und Schüler am stärksten profitieren: Solche mit gutem Vorwissen, positiven Einstellungen gegenüber Lernformen mit Neuen Medien, Fähigkeiten zur Selbststeuerung sowie vorhandener Motivation und Interesse. Gleichzeitig gibt es aber auch digitale Lernformen, von denen lernschwache Schülerinnen und Schüler profitieren können – beispielsweise stark gesteuerten Übungsformen am Computer.
Spricht man über die Wirkungen von Veränderungen im Unterricht, so dürfe das – so Herzigs Fazit – nicht »mit Blick auf das technische Medium, sondern nur in systemischen Zusammenhängen« geschehen (S. 22). Dieser Einsicht schließe ich mich an: Möglicherweise liegen die bemerkenswertesten Auswirkungen des Medieneinsatzes darin, dass Einsichten über guten Unterricht sich durchsetzen können, die lange Zeit pädagogisch vorhanden waren, aber praktisch kaum Anwendung gefunden haben.