Beschäftigt sein – Erlösung oder Horror

Heute ist auf der Freitag-Seite ein Essay von Robreto Simanowski pulbiziert worden, der eine schöne Spannung zu einem Kommentar von Tim Kreider auf dem Meinungsblog der New York Times aufspannt. In beiden Texten geht es darum, dass viele Menschen heute ständig »busy« sind, also beschäftigt. Das hängt auch mit Social Media zusammen – sie beschäftigen uns, sie involvieren uns in unzählige Aktivitäten, geben uns etwas zu tun.

Die Spannung zwischen den Texten zeigen schon die beiden Titel:

Ist man nun »schön busy« oder ist das busy-Sein eine »trap«, eine Falle?

Kreider argumentiert wie folgt: Wir hüllen uns in unser Beschäftigtsein. Es beginnt schon im Kindesalter und wurde zu einer Art Mode – eine Mode, die verhindert, dass wir ein erfülltes Leben führen, weil es uns davon abhält, Beziehungen zu führen, intensiv zu erleben und zu denken. Der busy-Modus konsumiert unser Hirn, konsumiert uns.

The present hysteria is not a necessary or inevitable condition of life; it’s something we’ve chosen, if only by our acquiescence to it. […] Busyness serves as a kind of existential reassurance, a hedge against emptiness; obviously your life cannot possibly be silly or trivial or meaningless if you are so busy, completely booked, in demand every hour of the day.

Idleness is not just a vacation, an indulgence or a vice; it is as indispensable to the brain as vitamin D is to the body, and deprived of it we suffer a mental affliction as disfiguring as rickets. The space and quiet that idleness provides is a necessary condition for standing back from life and seeing it whole, for making unexpected connections and waiting for the wild summer lightning strikes of inspiration — it is, paradoxically, necessary to getting any work done.

Die Beschäftigung deckt eine existenzielle Leere zu und hindert uns daran zu denken, dass wir vielleicht unwichtig und unbedeutend sind. Sie hindert uns aber generell am Denken, weil sie jede Art von Distanznahme verhindert.

Anders sieht das Simanowski. Er geht von einem berühmten Bonmot Pascals aus:

Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.

Dieser Mensch setzt sich angstvoll mit seiner Sterblichkeit auseinander, weil er sich nicht zerstreuen kann. Simanowski skizziert dann eine Geschichte des medialen Wandels als Abfolge von intensiveren Zerstreuungen, vom Buch über den Fernseher bis hin zu Social Media. Heute, wo es weder ein religiöses Sinnangebot gibt, mit dem wir uns trösten können, noch eine Zukunftsaussicht, die uns eine Orientierung ermöglichen würde, bleibt uns nur der Trost der Technik:

Gehen wir von Folgendem aus: Die Kommunikation der sozialen Netzwerke ist mehr oder weniger das, was die Sprachwissenschaft phatisch nennt und der Volksmund Small Talk. Eine Art Placebo-Gespräch, das nichts anderes zum Ziel hat als sich selbst und den unmittelbaren Augenblick. Genauer: Ziel ist die Vermeidung des Augenblicks, der, wie Pascals Zimmer, das Ich mit sich allein ließe. Deswegen die permanente Kommunikation als Grundgesetz unser Kultur. Das mag man gelegentlich als Bürde beklagen, aber wenn das Leben Momente der Untätigkeit aufdrängt (im Bus, im Wartesaal, am Taxistand), spürt man dunkel wieder die Todesangst und greift rasch zum Smartphone. Die neuen Medien garantieren, dass man nie mit sich allein ist, und werben sogar, wie Apple für den iPad-Kalender, lässig mit Sprüchen, die einst Grund zum Aufschrei waren: „Immer schön busy“. […]
Die Moderne kann ihr Projekt – das scheitern würde mit der Rückkehr der Religion – nur retten durch die Flucht ins Technische: Sie übersetzt die Bedeutung von „Verbindung“ im Lateinischen religio als „Link“ und kürt zum heilbringenden Medium nicht die Kanzel, sondern das Online-Netzwerk. Dort ereignen sich die Begegnungen unserer Zeit im Takt der Updates. Dort feiert sich, in Anbetung unentwegter Gegenwart, die ewige Wiederkunft des Gleichen.