Was kommt nach dem Ende von Twitter?

Twitter gibt es nicht mehr. Zwar führt Elon Musk die Plattform, die er als Twitter gekauft hat, unter dem Namen X weiter – der Namenswechsel drückt aber eine so radikale Veränderung aus, dass es sich schlicht nicht mehr um denselben Dienst handelt. Was bedeutet das – allgemein und für mich?

Twitter war während seiner Blüte der schnellste und reinste Weg zu Informationen. Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert ist, war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass jemand vor Ort auf Twitter darüber berichtet. Das war der Grund, weshalb es das bevorzugte Netzwerk für Journalist*innen war und weshalb offizielle Institutionen es genutzt haben, um die Bevölkerung direkt mit Informationen zu versorgen. Auch Wissenschaftler*innen haben etwas verzögert entdeckt, dass Twitter eine ideale Plattform für Wissenschaftskommunikation war. Es war möglich, fast in jedem Wissensbereich mitzulesen, was Fachpersonen dazu denken.

Das schuf Anschlüsse für alle Menschen, die ihre Informationen und Meinungen einschleusen wollten. Da Twitter für viele vor der Informationsplattform eine Humorplattform war, geschah das oft auch mit einer gewissen ironischen Distanz, mit Memes und Lockerheit. Und da sich Menschen über Twitter informierten, konnten auch politische Aktivist*innen Anliegen einbringen und auf Probleme aufmerksam machen.

Twitter verschränkte Lokales mit globaler Reichweite, machte das Private politisch, demokratisierte Expertise und schuf die Möglichkeit, über private Chats eine Hinterbühne zu betreiben, auf der sich Menschen vernetzen konnte. Selbstverständlich mussten dabei schwache Menschen geschützt werden – was nicht immer gelang und ein hohes Maß an bewusster, ethisch reflektierter Moderation erfordern würde.

Ich selber habe Twitter als Wissensnetzwerk genutzt, habe mich mit Menschen verbunden, die Gehaltvolles zu Themenbereichen mitzuteilen hatten, die mich interessieren – und ich habe meine Meinungen und mein Wissen geteilt, so dass eine Datenbank entstand, die ich oft auch als Archiv benutzt habe: Wenn ich einen Link gesucht habe, so wusste ich, dass ich ihn sehr wahrscheinlich mal auf Twitter geteilt habe. Wenn ich in einem Aufsatz auf eine kritische Position eingehen wollte, so war klar, dass jemand wohl auf einen Tweet von mir reagiert hatte.

Diese Qualitäten von Twitter habe ich ideal beschrieben, auch weil ich sie aus einer privilegierten Position wahrgenommen habe. Ich konnte alle Vorteile von Twitter nutzen, hatte ein großes, recht früh verifiziertes Profil und eine entsprechende Reichweite. Das ist mir bewusst. Andere haben in viel stärkerem Ausmaß Ausgrenzung und Gewalt erfahren, wurden durch die Moderation nicht geschützt. In der Phase vor Musk hat Twitter Konten schneller gesperrt und User*innen bessere Mittel gegeben, um sich zu schützen (z.B. Replys oder DMs einschränken).

Zwei Entwicklungen haben dazu geführt, dass Twitter das Ideal nicht erreichen konnte: Erstens die professionellen Desinformationskampagnen von rechtsnationalistischen politischen Akteur*innen, zweitens die systematische Zerstörung der Moderation und unterstützender Aspekte (wie Verifizierung) durch Musk und sein Team. Heute ist Twitter eine Bühne für rechte Politik, auf der es unmöglich ist, Menschen vor Belästigung zu schützen.

Das hat Konsequenzen: Selbstverständlich ziehen sich Menschen zurück und suchen neue Räume. Politischer Aktivismus findet stärker auf Instagram statt, Berichterstattung auf TikTok. Wer einen Ersatz für Twitter sucht, nutzt Mastodon oder macht erste Schritte auf Bluesky, viele haben große Netzwerke auf LinkedIn oder Facebook und nutzen diese. Alle diese Plattformen haben Vor- und Nachteile, keine erreicht aber das Ideal, das Twitter während seiner besten Jahre erreicht hat: Reine Informationen und Expertise so direkt wie möglich zugänglich zu machen. Das hat mit zwei Gründen zu tun:

  1. Die erwähnten Plattformen wurden anders designt, sie sollen andere Erfahrungen ermöglichen sollen. Selbstverständlich können sie umgenutzt werden, das wirkt aber nie so stark wie eine Plattform, die ursprünglich gemacht wurde, um genau einen Satz zu teilen und bei der viele Menschen während Jahren wussten, dass sie direkt an vertrauenswürdige Informationen gelangen können.
  2. Die Plattformen sprechen fragmentierte Teile des Twitter-Netzwerks an. Niemand kann von Twitter weggehen und findet auf Mastodon, TikTok oder Facebook alle Kontakte, die bei Twitter vorher verfügbar waren. Das betrifft insbesondere auch offizielle Konten von NGOs, Regierungsorganisationen, Medien etc. – die haben oft Twitter genutzt, um gerade auch in Krisen verlässlich informieren zu können. Im Moment organisieren sie sich gerade neu.

Elon Musk hat ein historisches Projekt zerstört – ähnlich wie die deutschen Bibliotheken (und die Wechselhaftigkeit von Google) das bei Google Books getan haben. (Musk hat das wohl sehr bewusst und im Auftrag seiner saudi-arabischen Geldgeber getan.) Was Twitter z.B. als politisches Kommunikationsmittel war, war nie unkompliziert, wie etwa Zeynep Tufekci dokumentiert hat. Aber es gab ein Ideal, an das immer wieder Annäherungen stattfanden. Dieses Ideal ist mit Twitter gestorben – es steht auch hinter keiner anderen Plattform.

Mastodon verkörpert viele Ideale – die Plattform basiert auf offener Software, wird in dezentralen, autonomen Communities verwaltet und monetarisiert den Content von User*innen nicht. Weil aber übergreifende Algorithmen fehlen, die Spielregeln kompliziert sein müssen und das Geld fehlt, um Moderation und Entwicklung großen Teams von Fachpersonen zu übergeben, kann Mastodon nicht das umsetzen, was Twitter hätte sein können oder mal fast war. Mastodon steht für andere Ideale, wie die deutschen Bibliotheken: Sie sie nicht darum bemüht, alle je erschienenen Bücher global kostenlos zugänglich zu machen. Aber sie kümmern sich um ihre Communities, wie das Mastodon-Server auch machen.

Dasselbe gilt für alle anderen Anschlusslösungen an Twitter: Sie bedienen einzelne Bedürfnisse von Twitter-User*innen, aber nicht alle. So werden sich andere Konzepte ergeben, andere Verhältnisse von Fakten, Unterhaltung, politischem Aktivismus, Humor und Vernetzung. Die Twitter-Nische ist aktuell zu stark besetzt (Threads, die Plattform von Facebook/Meta, habe ich noch gar nicht erwähnt). Für User*innen ist unklar, welches der konkrete Nachfolger ist, weshalb es kein umfassendes Netzwerk mehr geben wird.

Das ist der Grund, weshalb ich im Moment mehr oder weniger offen Content parallel verteile. Ich poste mal einen Gedanken bei Mastodon, nutze X recht lustlos, scrolle Bluesky und schaue mir in der S-Bahn die Insta-Stories an. Mein Archiv bei Twitter/X brauche ich weiterhin und werde es noch einen Moment weiterführen. Nicht aus Überzeugung, sondern weil ich sonst für mich wichtige Informationen nicht mehr finden würde. Mein Konto bei X hat immer noch eine gewisse Reichweite, die ich ab und zu auch nutzen werde – aber die starken Communities und guten Diskussionen sind nur noch fragmentiert vorhanden. Und immer sind destruktive Profile sehr präsent.

(Nach dem Schreiben habe ich gemerkt, dass ich zu diesem Titel schon mal gebloggt habe. Aber halt anders.)

Illustration Midjourney (Twitter Bird crossed out by the black letter x, illustration)

5 Kommentare

  1. Ruedi Lambert sagt:

    Lieber Philipp Wampfler, danke für deine Ausführungen. Was mich bei  X auch sehr stört ist die Ausbreitung v

  2. herrmess sagt:

    „Niemand kann von Twitter weggehen und findet auf Mastodon, TikTok oder Facebook alle Kontakte, die bei Twitter vorher verfügbar waren.“

    Für mich die schmerzlichste Erfahrung. Ich habe ähnlich wie du eine gewisse Zeit versucht, die Leute auf den anderen Netzwerken zu finden und in Kontakt zu bleiben. Aber ich habe einfach nicht die Zeit, nebenher noch in vier anderen Netzwerken umeinanderzuwuseln. Und ehrlich gesagt auch keine Lust.

  3. Sehr gute Einschätzung und Zusammenfassung der aktuellen Lage!

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