Das Steuererklärungsproblem besteht aus einem Vorwurf an die Schule – und aus einer Replik. Der Vorwurf lautet, man habe in der Schule viele unnötige Dinge gelernt, aber nicht, wie eine Steuererklärung auszufüllen sei, obwohl man das jedes Jahr machen müsste. Die Replik lautet: Diese Dinge sind erstens gar nicht unnötig, weil sie Lerneffekte nicht in ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit erschöpfen. Zweitens würde es nichts bringen, im Unterricht Steuererklärungen auszufüllen, weil auch die Personen, die das jedes Jahr machen, ständig vergessen, wie es geht.
Robert hat mir kürzlich vor Augen geführt, dass es eigentlich um etwas anderes geht: Die grundsätzliche Fähigkeit, bürokratische Prozesse ohne Angst effizient anzugehen. Das Problem besteht nicht darin, dass Schüler*innen lernen müssten, eine konkrete Steuererklärung auszufüllen: Sondern dass sie damit vertraut sein sollten, dass man Formulare ausfüllen muss – das viele stresst – aber eigentlich nicht stressen sollte, weil oft nichts Schlimmes passiert, wenn man Fehler macht.
Das Steuererklärungsproblem kann also so umformuliert werden: Die Schule sollte Menschen darauf vorbereiten, lästige administrative Arbeiten so bewältigen zu können, dass es ihnen dabei gut geht.
Das lässt sich auch auf den Umgang mit Digitalität übertragen: Viele der anstrengenden Aushandlungsprozesse rund um die Nutzung digitaler Medien ist eine Vorbereitung darauf, einen produktiven und mental gesunden Weg zu finden, digitale Technologie nutzen zu können. Es geht nicht um konkrete Anwendungen, sondern um eine allgemeine Haltung und Bereitschaft. Die Fähigkeit, Frustrationen auszuhalten, Fehler zu tolerieren und sich selber auch zu verzeihen, wenn etwas nicht wunschgemäß klappt, ist dabei zentral.

Als Hinweis: Für die Mehrheit der jungen Erwachsenen in der Schweiz steht das Thema „Steuererklärung ausfüllen“ im Lehrplan (Berufsschule).
Ich halte es für falsch, in der Schule nur Sachen zu unterrichten, die später 1:1 anwendbar sind.
Ich verschiebe seit der Schule keine Dreiecke mehr parallel, ich berechne nicht, wie viel Eis ich in eine Badewanne geben muss, um die Temperatur um x Grad zu senken (und wie hoch der Wasserstand danach ist) und ich programmiere keine Roboter, die schwarzen Linien folgen.
Aber ich habe gelernt, dass man vieles berechnen kann, dass man komplexe Probleme in kleinere, lösbare Stücke aufteilen kann und noch vieles mehr.
Deshalb ärgert es mich auch, wenn Informatikunterricht als „wie bediene ich Word“ verstanden wird. (Wobei das die letzten Jahre massiv besser wurde, wie ich so höre.)